«Zu hoher Zucker, zu schwer, zu füllig an den Rippen, zu hoher Blutdruck, zu hohe Fettwerte… Wenn Sie so weiter machen, dann endet das in einer metabolischen Gefäss-Herzkreislauf-Katastrophe mit Insulinspritzen, Arthrosen, Schlaganfall und Herzinfarkt! Ausser Sie tun genau das, was wir Ihnen sagen». So oder so ähnlich beginnen viele Ratgeber zum metabolischen Syndrom. Nun, das Schüren der Angst mag bei einigen Betroffenen zu einer Verbesserung der soeben aufgeführten Parameter führen. Der Impuls zur Änderung des Lifestyles – so bleibt jedoch auf Basis meiner jahrzehntelangen Erfahrung in der ambulanten Medizin zu befürchten – entspringt viel zu häufig Bedenken und Angst. Angst ist leider ein mächtiger und manipulativer Ratgeber. Drohende gesundheitliche Folgeerkrankungen und gesellschaftliche Schönheitsideale sorgen für ein schlechtes Gewissen und Angst, am „Schaufeln des eigenen Grabs“ oder der sozialen Isolation am Ende selbst Schuld zu sein. In unserer Leistungsgesellschaft ist der Druck auf dem Einzelnen, seines eigenen Glückes Schmied zu sein, sehr hoch.

Kommen wir zunächst zu den Komponenten des Metabolischen Syndroms, um ein einheitliches Verständnis für die damit bezeichneten Symptome zu kreieren.

  • Übergewicht und erweiterter Umfang der Taille
    Grundsätzlich schützt uns Übergewicht vor Hungertod oder Erfrieren – ein Mechanismus, dem jeder Igel oder Bär zustimmen würde. Freuen wir uns doch, dass in Zentraleuropa weder Hunger noch Kälte akute Probleme darstellen und trennen uns ruhigen Gewissens von dieser Sorge. Der Körper ist auf den Aufbau von Reserven durch unsere hormonaktiven Fettzellen bestens vorbereitet, denn in keiner Epoche der Menschheitsgeschichte dürfte das Nahrungsangebot so gut verfügbar und hochkalorisch gewesen sein wie heutzutage. Unser Stoffwechsel ist eben noch nicht im Jahre 2021 angekommen – helfen wir ihm und zeigen ihm die beste Navigation durch unsere Zivilisation. Angst löst das Problem nicht: Besser sind ein grundlegendes Wissen um die physiologischen Mechanismen und die Vermittlung von Methoden, um eine „artgerechte“ Ernährung zu erlernen und zur Gewohnheit zu machen.
  • Erhöhter Blutzucker
    Ein erhöhter Blutzucker geht meist einher mit Übergewicht oder kann die Folge von Inaktivität sein. Es ist ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, dass wir uns immer weniger Zeit für reale Bewegung nehmen. Damit meine ich Zeitfenster für sportliche Aktivitäten oder ein erholsamer Waldspaziergang und nicht die omnipräsente Rastlosigkeit und Angst, etwas zu verpassen. Es ist grotesk: Termindruck und Alltagshektik sorgen für psychische Dynamik (oft unvorteilhaft), aber für körperliche Bequemlichkeit und Stillstand. Lösen wir uns doch von der Angst, nicht effektiv zu sein, und gönnen uns öfter einmal eine längere Wanderung. Ja, auch Sport darf sein – und gerne mehr als die notwendigen 20 min/Woche, die uns die Hightech-Fitnessindustrie empfiehlt. Sport und Bewegung ist Zeit für uns: Wir müssen sie uns nur nehmen.

  • Erhöhte Blutfette
    Erhöhte Blutfette sind nicht nur auf Übergewicht zurückzuführen, sondern häufig auch auf qualitativ minderwertige und vermeintlich kostengünstige Ernährung. Kostengünstig stimmt sogar in gewisser Hinsicht. Pro eingekaufte Kalorie ist industriell verarbeitetes Essen relativ am günstigsten – nur ist Hunger in den meisten Industriestaaten eher kein akuter Engpass (mehr). In diesem Zusammenhang kommt dann die „Nährstoffdichte“ ins Spiel: Statt in der verhältnismässigen unsinnigen Kaloriendichte zu denken, geht es zunehmend darum, dem Körper durch natürliche Lebensmittel wie Gemüse und Obst viele lebensnotwendige Vitamine und Mineral- und sekundäre Pflanzenstoffe zuzuführen – und zwar ohne gleichzeitig zu viel Kalorien zu sich zu nehmen. Vereinfacht gesagt: Gemüse hat eine niedrige Kaloriendichte, aber eine hohe Nährstoffdichte. Pommes Fries haben eine hohe Kaloriendichte, aber eine niedrige Nährstoffdichte (Nährstoffe/kcal). Schade irgendwie: Wer nimmt sich heute noch Zeit für das Zubereiten frischer Lebensmittel, die in der Kombination sehr wohl gut schmecken können? Sollten Sie gesund kochen, und das Problem läge eher darin, dass Sie einfach zu viel essen, dann wohl, weil eine subtile Angst ihnen einflüstert, sie bekämen nie wieder etwas so Feines demnächst.
  • Arterielle Hypertonie
    Der erhöhte Blutdruck ist ein Phänomen für sich und kann natürlich auch bei nicht metabolischen Betroffenen auftreten. Sollte man aber Gewicht, Blutzucker und Blutfette in den Normbereich senken, kann man in der Regel auch mit einer Verbesserung des Blutdrucks rechnen. Wieso straft uns die Natur denn überhaupt mit unterschiedlichen Werten des Blutdrucks? Ein dauerhafter Paradeblutdruck von 120/80 mmHg wäre doch viel einfacher. Nun, fragen Sie sich einmal, wieso ein PKW mehrere Gänge und ein Gaspedal hat. Nach dieser Logik benötigt der Körper bei hoher körperlicher Belastung mehr Versorgung mit sauerstoffreichem Blut als im Ruhezustand. Diese Variabilität hilft uns, uns bestmöglich an eine abwechslungsreiche Umwelt anzupassen. Aber auch hier wird mit den Folgen einer Bluthochdruckerkrankung viel zu aktiv geworben und vorschnelle Therapien in die Wege geleitet. Zunächst einmal geht nichts über eine saubere Dokumentation der Blutdruckwerte (z.B. in Form eines Tagebuchs). Wie gesagt: Unser Körper passt sich an. Eine Behandlung auf Basis eines einzelnen gemessenen  Wertes ist fahrlässig und unseriös. Ich plädiere grundsätzlich für eine Entmystifizierung des Bluthochdrucks: Er ist häufig gut zu verstehen und gut zu therapieren – und muss nicht zwingend ein lebenslanges Schicksal sein, dem man sich nun beugen muss.

Hat sich jemand eigentlich schon mal Gedanken gemacht, was aus der Angst wird, wenn das metabolische Syndrom (teilweise) zu akzeptablen Normwerten reguliert wurde? Viele der Indikatoren eines Metabolischen Syndroms sind nämlich reversibel, also bei entsprechenden Anpassungen des Lebensstils umkehrbar – oft ohne bleibende Schäden je nach Schwere der Symptomatik und Zeitpunkt der Intervention.

Könnte es sein, dass diese Angst sich irgendwo in uns als dauerhafte Triebfeder eingenistet hat und uns somit «schützt»? Das mag wohl die positive Theorie zu unserer Verhaltensänderung darstellen – die Angst als natürliche Schleife, damit wir überleben. Es könnte aber doch auch sein, dass wir dauerhaft von dieser kleinen, lästigen Angst unbewusst geplagt sind, welche sich nur allzu gerne mit weiteren kleinen Ängsten zu einem beträchtlichen Konvolut von Angst entwickeln kann. Hier das Übergewicht, dort eine gescheiterte Beziehung und an anderer Stelle eine chronische Unzufriedenheit im Job: Unglück kommt selten allein, genauso wenig wie eine manifeste Depression. Ich denke, eine etwas andere Betrachtungsweise hätte ebenso einmal einen Gedanken verdient. Am Ende ist vielleicht alles gar nicht so schlimm und türmt sich auf, wenn wir der ursprünglichen Ausgangslage etwas Positives abgewinnen – ohne die Angst als extrinsischen Reiz zu instrumentalisieren.

Ich habe versucht aufzuzeigen, dass ein Metabolisches Syndrom – aus physiologischen Ängsten entstehend – bei falscher Herangehensweise dauerhaft zum generellen Angstgefühl beitragen kann. Was also wäre mein Vorschlag? Reden Sie mit Ihrem Arzt – er wird Ihnen (hoffentlich) das richtige Team zur Seite stellen, um eine etwas andere, weniger bedrohliche Perspektive zu schaffen. Aber auch Sie selbst sind gefordert – und zwar in einem schönen, motivierenden Sinn: Nehmen Sie sich auch Zeit für sich, bewegen Sie sich, kochen Sie gemeinsam mit Familie und Freunden. Fokussieren Sie sich auf das, was Ihr Körper zu leisten imstande ist – nicht nur auf Defizite im Vergleich zu anderen Menschen. Sie werden sehen, dass Ihr Körper Ihnen bei vielen der aufgeführten Aktivitäten ein positives Feedback geben wird, welches Sie motiviert, weiterzumachen. Unsere Gesellschaft ist zu ängstlich geworden. Kopf einziehen und verstecken hilft hier nicht. Mit positiver Energie lässt sich nachhaltiger Wandel am besten umsetzen. Viele meiner Patienten, die von Ausprägungen eines Metabolischen Syndroms betroffen waren und sich selbst geheilt haben, würden mir hier zustimmen.

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Dr. Robert Klingl

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Chief Medical Officer (MED4LIFE)

Wissen Sie, dass Diabetes oder die sogenannte „Zuckerkrankheit“ Folgen für den gesamten Körper haben kann?

Der zu hohe Zucker im Blutkreislauf strömt durch den ganzen Körper und es kann dabei zu Schädigungen an Organen sowie am Bewegungsapparat kommen.

Aber wie entsteht eigentlich ein Diabetes? Zunächst ist zwischen zwei Typen zu unterscheiden:

  • Beim Typ I Diabetes ist die Ursache eine Autoimmunerkrankung. Die Körperzellen greifen sich gegenseitig an. Die dafür vorgesehene Bauchspeicheldrüse kann kein Insulin mehr produzieren, was insbesondere den Kohlenhydratstoffwechsel (d.h. über die Nahrung zugeführten Zucker) reguliert.
  • Beim Typ II Diabetes kann der Körper nur zu wenig oder nicht wirksames Insulin produzieren. Ich bezeichne es immer als eine Art „Burn-out“ – die Bauchspeicheldrüse ist „erschöpft“.

Aber was ist denn eigentlich dieses Insulin? Insulin ist ein so genanntes „Speicherhormon“:  Es sorgt dafür, dass der Zucker im Blut vom Körper aufgenommen, gespeichert und letztlich bei Bedarf in Energie umgewandelt werden kann. Es ist somit wie ein Schlüssel für die Körperzellen. Da ein Diabetiker zu wenig oder gar kein Insulin mehr produzieren kann, bleibt der Zucker im Blut „stecken“ statt in den dafür vorgesehenen Depots in der Leber und den Muskeln gelagert zu werden.

Die Konsequenzen sind oft verheerend. Zum Beispiel droht eine Fettleber – ja, richtig gelesen: Fett. Um sich des steten Zustroms an Kohlenhydraten zu entledigen, neigt die Leber bei einer Insulinresistenz dazu, Kohlenhydrate in Fette umzuwandeln. Auch die Füsse, die uns im besten Fall durch unser gesamtes Leben tragen, können durch Diabetes auf verschiedenste Weisen geschädigt werden, z.B. an den Nerven, wodurch es zu einer Schmerzunempfindlichkeit kommen kann. Die Fussgelenke reagieren oft mit Bewegungsstörungen, auch Hornhaut und Nagelveränderungen sollten nicht ignoriert werden.

Auch unsere Nieren, Gefässe, das Herz oder unsere Augen können durch Zucker beschädigt werden. Daher ist es wichtig, regelmäßige Kontrollen – auch und gerade präventiv – durchzuführen. Man kann in etwa ausrechnen, wann erste Folgeschäden auftreten können. Abgesehen von einer Ernährungsweise mit vielen Einfachzuckern (z.B. Softdrinks, Süssigkeiten) sorgen auch weitere Risikofaktoren wie z.B. Rauchen oder ein hoher Blutdruck zu einer Komplikation der vielfältigen Symptome.

Am besten beugen Sie Diabetes mit einer ausgewogenen Vollwertkost mit wenig zuckerhaltigen Getränken und Nahrungsmitteln sowie regelmässiger sportlicher Betätigung vor. Während z.B. der häufige Konsum von zuckerhaltigen Softdrinks unsere Insulinsensitivität verringert, wirkt Sport als das Gegenteil davon: Er erhöht die Fähigkeit der Zellen, auf Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse zu reagieren.

Am Ende haben wir es selbst in der Hand! Nicht umsonst werden Diabetes, Hypertonie (Bluthochdruck) oder Herzkreislauferkrankungen als Zivilisationskrankheiten bezeichnet. Wenn derartige Krankheitsbilder in den meisten europäischen Gesellschaften auf dem Vormarsch sind, sollten wir etwas an unserer „Zivilisation“ ändern. Unser Körper reagiert nur so, wie er es evolutionär gelernt hat.

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Carina Keller

Physician Assistant Manager und Leiterin Diabetessprechstunde (MED4LIFE)