Kaufsucht: Wenn mehr nicht genug ist

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4.8% der schweizerischen Bevölkerung leidet laut einer Umfrage aus 2019 an Kaufsucht. Dies spiegelt eine Umfrage aus dem Jahr 2003, wobei die Anzahl an Online-Kaufsüchtigen zum ersten Mal erfasst wurde. Demnach leidet 3.8% der Bevölkerung an einer physischen Kaufsucht in herkömmlichen Läden, 2.9% sind online-kaufsüchtig (Faktenblatt zu Kaufsucht – prevention.ch, 2021).

Die Studie zeigt, dass das Bildungsniveau das Kaufverhalten prägt: Personen mit geringerem Bildungsgrad sind häufiger kaufsüchtig. Auch sind jüngere Personen häufiger betroffen als ältere. Bei den Geschlechtern teilt sich das Konsumverhalten: Frauen kaufen eher modische Accessoires wie Schuhe, Kleidung und Kosmetik, Männer lieber Technik. Insgesamt befinden bis zu 21% der schweizerischen Bevölkerung in einer Vorstufe der pathologischen Kaufsucht, dem sogenannten risikoreichen Kaufverhalten.

Wie ist Kaufsucht definiert?

Eine eigenständige Diagnose für die Kaufsucht gibt es derzeit noch nicht, sie zählt aber allgemein zu den sogenannten „Verhaltenssüchten“. Dazu gehören zum Beispiel Spiel- und Glücksspielsucht. Auch wenn sich die Wissenschaft also noch nicht einig ist, wie die Sucht definiert werden soll, kann man sich an folgenden Merkmalen orientieren:

  • Es besteht wiederholt ein Kontrollverlust beim Einkaufen
  • Es kommt zu häufiger und intensiver Beschäftigung mit Kaufen
  • Man kauft vermehrt Dinge, die nicht benötigt werden und die eigenen finanziellen Mittel übersteigen (finanzieller Leidensdruck)
  • Das Kaufen benötigt viel Zeit, sodass soziale und berufliche Beziehungen darunter leiden (gesellschaftlicher Leidensdruck)
  • Der Kauf erfolgt aus emotionalen Gründen wie Langeweile, Trauer oder Wut. Kaufen wird als „Belohnung“ empfunden (Kaufsucht, Gesundheitsportal, o. J.)

Doch Vorsicht: Auch bei einer Hypomanie oder Manie kann es zu unkontrolliertem Kaufverhalten kommen. Wenn das exzessive Kaufen zusammen mit weiteren Anzeichen einer Manie auftritt, wie vermindertes Schlafbedürfnis, Appetitlosigkeit, unkontrolliertem Rededrang, Ideenflucht und körperlicher Unruhe sollte dringend medizinischer Rat aufgesucht werden.

Wie äussert sich Kaufsucht?

Hier gibt es kein einheitliches Bild – die Kaufsucht äussert sich bei jedem Betroffenen anders. Manche Betroffene kaufen sich teure, exklusive Artikel. Andere sind auf der Suche nach Schnäppchen. Es gibt Betroffene, die unaufgefordert Geschenke für ihre Freunde und Familie besorgen. Die einen suchen nur im Internet, die anderen sind im Handel unterwegs. Mischformen kommen ebenfalls vor. Viele Betroffene durchlaufen auch längere Phasen, in denen sie ihrer Sucht nicht nachgehen. Wichtig in der Diagnostik der Kaufsucht sind somit vor allem die oben genannten Merkmale (Kaufsucht, 2021).

Wer wird kaufsüchtig?

Alle Betroffenen haben eine objektbezogene Werteorientierung. Diese kann aber verschiedene Ursachen haben. Man geht davon aus, dass eine gewisse psychische Vulnerabilität häufig bereits vor der Sucht besteht. So stecken hinter einer Kaufsucht manchmal zum Beispiel Depressionen, soziale Ängste, Persönlichkeitsstörungen (Borderline-Störung, narzisstische Störung, etc.) oder eine schwierige Kindheit. Allerdings muss die Kaufsucht nicht auf einer psychischen Krankheit gründen. Es gibt auch intrinsische Auslöser; negative Gefühlszustände wie Trauer, Frustration, Langeweile und ein geringes Selbstwertgefühl. Durch den Kauf ist die Stimmung kurz gehoben, dies ist aber kurzlebig – nach kurzer Zeit setzt meist Reue ein.

Wie kann man Kaufsucht behandeln?

Wenn Kaufsucht vorliegt, wird empfohlen, eine Verhaltenstherapie durch einen Psychotherapeuten bzw. einer Psychotherapeutin in Anspruch zu nehmen. Der entscheidende Punkt ist allerdings, dass der oder die Betroffene selbst die notwendige Änderungsmotivation mitbringt. Da das Kaufen eine alltägliche Aktivität ist, kann man es nicht komplett vermeiden. Das heisst, das therapeutische Ziel liegt darin, ein kontrolliertes Kaufverhältnis zu etablieren. Dabei werden die hinter der Sucht verborgenen Bedürfnisse und Enttäuschungen analysiert. Im nächsten Schritt werden alternative Verhaltensweisen gesucht, die zum Vermeiden der Kaufexzesse führen. Zusätzlich kann man das therapeutische Angebot sinnvoll ergänzen: zum Beispiel durch Selbsthilfegruppen, Schuldnerberatung und weitere psychotherapeutischen Angebote (Musiktherapie, Bewegungstherapie, Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankungen (z.B. einer Depression).

Der Kanton Zürich bietet einen Online-Beratungsfinder für diverse Suchterkrankungen an –für stoffgebundene (Alkohol, Cannabis) und Verhaltenssüchte (Kaufsucht, Spielsucht). Durch den Beratungsfinder kann man angeben, welche Art von Angebot man sich vorstellt, beispielsweise mit Onlinetools, vor Ort mit anderen Betroffenen oder durch Fachpersonen in einer Klinik oder Ambulanz. Es lohnt sich in jedem Fall, dieses Tool auszuprobieren – auch wenn man nicht im Kanton Zürich wohnt. Es werden nämlich viele internetbasierte und ortgebundene Angebote ausserhalb des Kantons Zürich empfohlen: https://suchtpraevention-zh.ch/safer-use-und-sucht/verhaltenssuchte/kaufsucht/ („Kaufsucht – Shopping-Sucht“, o. J.).

Was kann ich selbst dagegen tun?

Betroffene können diese Sofortmassnahmen auch ohne Hilfe durchsetzen:

  • Einkauftagesbuch mit genauen Aufzeichnungen der Ausgaben führen
  • Einkaufen während Sonderaktionen vermeiden
  • Auf elektronische Zahlungen verzichten, wann immer möglich mit Bargeld zahlen
  • „One-click“ Funktion bei Online-Käufen deaktivieren
  • Auslöser vermeiden, die suchtartiges Kaufen in Gang setzen (z.B. Stress, Angst)
  • Alternativen Beschäftigungen nachgehen (Hobbies, Arbeit, soziale Kontakte)

Kaufsucht ein zunehmendes Phänomen. Mit ein Grund dafür ist der stark wachsende Online-Markt sowie die Tatsache, dass Kaufhürden tendenziell gesenkt werden (z.B. durch One-Click-Zahlungen online oder kontaktlosen Kartenzahlungen vor Ort). Glücklicherweise findet dieses Phänomen zunehmend Aufmerksamkeit in der Wissenschaft. Das Angebot an Beratungs- und Behandlungsstellen wächst kontinuierlich. Kaufsucht ist ein Krankheitsbild, das sich durchaus behandeln lässt. Wer sich gerne vertiefter mit dem Thema beschäftigen möchte, für den gibt es an dieser Stelle noch eine Filmempfehlung: „Shopaholic – die Schnäppchenjägerin“ (Originaltitel: „Confessions of a Shopaholic“). In diesem Film geht es um eine junge Frau in New York City, die an einer ausgeprägten Kaufsucht leidet. Er basiert auf zwei Romanen von Sophia Kinsella.

Quellen

Faktenblatt zu Kaufsucht—Prevention.ch. (2021, März 16). prevention.ch. https://www.prevention.ch/article/faktenblatt-zu-kaufsucht

Kaufsucht. (o. J.). Gesundheitsportal. Abgerufen 12. Oktober 2022, von https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/kaufsucht.html

Kaufsucht: Wenn Konsum zur Krankheit wird. (2021, Juli 2). https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/sucht/kaufsucht-wenn-konsum-zur-krankheit-wird/

Kaufsucht—Shopping-Sucht. (o. J.). Suchtprävention. Abgerufen 12. Oktober 2022, von http://suchtpraevention-zh.ch/safer-use-und-sucht/verhaltenssuchte/kaufsucht/

dr. med. univ. Anemone Rutter

dr. med. univ. Anemone Rutter

Assistenzärztin (MED4LIFE)

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