Bei der Fehlsichtigkeit gibt es zwei Hauptformen. Die Kurzssichtigkeit (Myopie) und die Weitsichtigkeit (Hyperopie). Dabei ist die Kurzsichtigkeit deutlich häufiger, was vor allem mit unserer Lebensform zu tun hat. Beide Fehlsichtigkeiten haben mit der Bulbuslänge (= Augapfellänge) zu tun. Diese stellt sich während der Entwicklung auf das Hauptsehen ein. Die heutige Gesellschaft ist stark auf Kurzsichtigkeit ausgerichtet (Schreiben, Computer etc.) und daher ist es nicht verwunderlich, dass die Myopie häufiger vorkommt. In der Schweiz sind mehr als die Hälfte aller Jugendlichen myop!

Oftmals sind die physiologischen Zusammenhänge bei der Myopie und Hyperopie etwas verwirrend, da sie genau gegenteilig sind. Bei der Myopie ist der Bulbus zu lang und die Sicht in die Weite bereitet Probleme. Die Strahlenbündel treffen sich, weil der Bulbus zu lang ist, schon vor der Netzhaut in einem Punkt, daher wird eine Streulinse benötigt, um den Strahlengang zu erweitern. Eine Streulinse hat negative Dioptrien. Sie erniedrigt die Brechkraft, sodass sich dieser Punkt, der sogenannte hintere Brennpunkt, auf die Retina verschiebt.Bei der Hyperopie hingegen ist alles genau umgekehrt. Der Bulbus ist also zu kurz und der Brennpunkt ist ohne Brille hinter der Retina, also zu weit hinten. Es wird eine Sammellinse benötigt, welche die Brechkraft erhöht. Diese Linse hat positive Dioptrien.

Linsen

Häufig bleibt die Hyperopie länger unentdeckt als die Myopie. Der Grund liegt darin, dass die Linse akkomodationsfähig ist. Die Brechkraft wird erhöht bei der Nahakkomodation (= Nahanpassung). Eine hyperope Person kann also ihre Hyperopie durch Nahakkomodation gewissermassen kompensieren. Das äussert sich auf Dauer jedoch oft durch Kopfschmerzen und Schwindel, da es sehr anstrengend ist, ständig auf Nahakkomodation umzustellen, vor allem wenn man eigentlich gar nicht in die Nähe sieht. Mit steigendem Alter zeigt sich ein weiteres Phänomen. Die sogenannte Presbyopie beschreibt eine verschlechterte, altersbedingte Akkomodationsfähigkeit. Sie tritt dadurch auf, dass mit steigendem Alter, das bedeutet in diesem Fall schon ab 40 Jahren und nicht erst im Seniorenalter, die Linse weniger elastisch wird.

Die Linse besteht grob aus einer Rinde und einem Kern. Beide Anteile bestehen aus Linsenfasern, wobei sich die neuen Linsenfasern immer aussen anlagern. Die ältesten Linsernfasern sind also im Kern zu finden. Der Kern ist wasserärmer und daher weniger elastisch. Ab 40 Jahren beginnt sich das Gleichgewicht zwischen Rinde und Kern in Richtung Kern zu verschieben. Ein Teil der Rinde degradiert also zunehmends und somit gehen mit der Zeit die neuen nachkommenden Linsenfasern, welche sich aussen anlagern, immer mehr verloren. Das hat zur Folge, dass die Linse zunehmends unelastisch wird. Eine unelastische Linse hat eine deutlich schlechtere Akkomodationsfähigkeit.

Die Presbyopie wird auch altersbedingte Weitsichtigkeit genannt. Denn durch die verlorene Akkomodationsfähigkeit bereitet insbesondere die Nahakkomodation Mühe. Das bedeutet, dass der Nahpunkt (das ist der den Augen nächste Punkt, an dem man scharf sieht) weiter in die Ferne rückt. Der Nahpunkt lässt sich einfach untersuchen, wenn man einen Text vor sich hat und immer näher an die Augen bewegt. Der Punkt an dem der Text verschwommen zu erscheinen beginnt ist der Nahpunkt. Bei jungen Erwachsenen kann dieser Nahpunkt weniger als zehn Zentimeter betragen. Mit 40 Jahren liegt der Nahpunkt ungefähr bei 25 Zentimetern. Das klingt absolut betrachtet nicht nach einem starken Unterschied, das ist jedoch die dreifache Distanz gegenüber einem jungen Erwachsenen!

Wie eingangs erwähnt, sind deutlich mehr Personen von der Myopie (Kurzsichtigkeit) als von der Hyperopie (Weitsichtigkeit) betroffen. Die Myopie war in Kombination mit einer Presbyopie lange ein echtes Problem, da davon betroffene Patient*innen kurz- und weitsichtig sind und dadurch sowohl in die Nähe als auch in die Ferne schlecht sehen. Das stellte die Ärzteschaft lange Zeit vor grosse Schwierigkeiten. Die zu beantwortende Frage war: Wie schafft man es, die Myopie und die altersbedingte Presbyopie gleichzeitig zu korrigieren? Es braucht also eine Brille, die gleichzeitig Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit korrigieren kann. Die Erfindung der sogenannten Gleitsichtbrille löste dieses Problem. Für die Myopie wird eine negative Dioptrie benötigt, weil der Bulbus zu lang ist. Für die Presbyopie wir eine positive Dioptrie benötigt, um in die Nähe sehen zu können (die erhöhte Brechkraft ging ja verloren und der Nahpunkt hat sich vom Auge weg verschoben). Gleitsichtbrillen sind für viele sehr gewöhnungsbedürftig, da es verschiedene Zonen für die verschiedenen Fehlsichtigkeiten gibt. Zum Lesen muss beispielsweise durch den unteren Bereich der Gleitsichtbrille geschaut werden. Dagegen korrigiert die Gleitsichtbrille in der Regel im oberen Bereich die Myopie.

Gleitsichtbrille
Jil Toman

Jil Toman

Student Humanmedizin
Medizinischer Content-Provider (MED4LIFE)

Unser Auge ist das wichtigste Sinnesorgan, da es ungefähr 70% aller Sinneseindrücke verarbeitet. Es muss aus Lichtstrahlen ein elektrisches Signal kreieren und daraus ein korrektes Bild erstellen. Das Auge besteht aus sehr vielen kleinen Strukturen, die funktionell integriert und voneinander abhängig sind. Grob kann man den dioptrischen Apparat von unterstützenden Strukturen unterscheiden. Der dioptrische Apparat besteht aus der Hornhaut, der Linse und dem Glaskörper. Alle Anteile des dioptrischen Apparats müssen absolut durchsichtig sein, da dort das Licht das Auge durchdringt.

Das Licht wird auf der Retina (Netzhaut) verarbeitet, welche aus zehn (!) Schichten besteht. Die Netzhaut hat nebst ihrer Vielschichtigkeit noch weitere aussergewöhnliche Eigenschaften. Es gibt zwei wichtige Punkte auf der Retina. Der erste ist der blinde Fleck; der Ort, an dem der Nervus opticus beginnt. Dort kann kein Licht verarbeitet werden.  Von dort führen Nervenfasern weg, welche im Sehnerv (Nervus opticus) zusammenkommen. Der Sehnerv läuft zum Gehirn und bildet das optische Chiasma. Im optischen Chiasma kreuzt ein Teil der Fasern. Der zweite wichtige Punkt ist der Ort des schärfsten Sehens, die Fovea centralis. Das ist ein ganz kleiner Bereich auf der Retina, der in der Nähe der Sehachse liegt. Dort sind die Zapfen sehr stark konzentriert und dies ermöglicht ein farbiges Bild mit scharfer Auflösung. Daher orientieren wir unsere Augen permanent so, dass der Strahlengang des Lichts auf die Fovea centralis fällt.

Weiter oben wurde der dioptrische Apparat aufgegriffen. Das sind alle Anteile des Auges, die das Licht brechen. Daher müssen sie absolut durchsichtig sein, damit sie den Strahlengang nicht verfälschen. Der Glaskörper bildet den grössten Anteil des Auges, da er den gesamten Raum zwischen Linse und Retina ausfüllt. Weil er komplett durchsichtig sein muss, besteht er zu 99% aus Wasser. Zudem erzeugt der Glaskörper einen intraokulären Druck, also ein Druck im Auge. Dieser Druck ist nötig, um die Retina optimal aufzuspannen und an die ihr angrenzende hintere Schicht zu drücken. Damit das Licht, das durch den Glaskörper auf die Retina gelangt, optimal verarbeitet werden kann, darf es nicht gestört werden. Gefässe wären hierbei ein massiver Störfaktor und würden die Lichtstrahlen verfälschen. Daher gibt es das faszinierende Phänomen, dass die Gefässe der Retina um die Fovea angeordnet sind, sich jedoch nicht vor die Fovea und somit in den Hauptstrahlengang begeben.

Aufbau des Auges

Der Prozess der Verarbeitung von Lichtwellen ist die Phototransduktion. Dabei treffen Lichtstrahlen mit Lichtgeschwindigkeit auf die Netzhaut. Auf der Netzhaut gibt es Stäbchen, welche das Schwarz-Weiss-Sehen ermöglichen, und Zapfen, welche dem Farbsehen dienen. Die kleinste Einheit der Lichtstrahlen sind die sogenannten Photonen. Sie treffen auf die Zapfen und werden verarbeitet. Vereinfacht funktioniert der Prozess folgendermassen: Die Photonen werden von den Zapfen oder Stäbchen (Photorezeptoren), welche spezialisierte Neuronen sind, aufgenommen und weiterverarbeitet. Hier geschieht also der Übertritt von einem Lichtsignal in ein elektrisches Signal, da fortan Neuronen die Information weiterleiten.

Die Information der Zapfen und Stäbchen wird in der Retina auf ein zweites Neuron umgeschaltet und dann auf ein Drittes. Daher kommt die Vielschichtigkeit der Retina. Nebst den drei Neuronenschichten gibt es noch verschiedene unterstüzende Schichten. Beispielsweise ist die äusserste Schicht das Pigmentepithel. Es nimmt Photonen auf, die weder von Zapfen noch Stäbchen verarbeitet werden. Das Pigmentepithel dient als Schutz, damit die Photonen nicht in tieferen Schichten eindringen. Es heisst so, weil diese Epithelzellen viel Melanin enthalten, die die Photonen aufnehmen können und so pigmentiert, also dunkel angefärbt, sind. Die Fasern des dritten Neurons verlaufen dann im Sehnerv (Nervus opticus) zum optischen Chiasma, wo die Verarbeitung weitergeht. Wichtig für das Verständnis ist die inverse Anordnung der Neuronen in der Retina. Intuitiv könnte man annehmen, dass die Photorezeptoren bei der Retina ganz innen liegen und dem Licht so nahe wie möglich sein wollen und somit dem Glaskörper zugewandt sind. Dem ist jedoch nicht so! Das erste Neuron, also die Photorezeptoren, ist dasjenige Neuron, das vom Glaskörper maximal entfernt ist und somit der nächst-äusseren Schicht zugewandt ist. Das dritte Neuron hingegen ist dem Glaskörper am nächsten. Die ersten beiden Neuronen vermitteln ihre Information über chemische Synapsen und nicht direkt elektrisch. Erst das dritte Neuron, das mit seinen Axonen den Optischen Nerv bildet, generiert Aktionspotentiale.

Quelle

Bild: LEIFI. Das menschliche Auge. https://www.leifiphysik.de/optik/optische-linsen/ausblick/das-menschliche-auge-aufbau-und-funktion-einzelner-teile (zuletzt am 20.04.2022 um 09:00)

Jil Toman

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