Der Geschmack ist einer unserer Sinne und gilt als einer der vermeintlich weniger wichtigen. Heutzutage ist der Geschmack vor allem mit Emotionen verbunden. Er bringt ein Stück Lebensqualität. Eine rein funktionelle Ernährung ohne Geschmack ist schwer vorstellbar, daher geht ein Verlust des Geschmackes über längere Zeit oft auch mit psychischen Beschwerden einher. Evolutionstechnisch gesehen war jedoch eine andere Funktion ebenfalls zentral: Die Nahrungsauswahl wurde über den Geschmack getroffen. Viele Gifte enthalten Bitterstoffe, welche unangenehm schmecken, daher war der Geschmackssinn in seinem Ursprung auch eine Art “Absicherungssinn“.

Doch auch heutzutage reichen die Funktionen des Geschmackssinns weit über ein angenehmes Empfinden hinaus! Der Geschmacksinn ist nach der Geburt der erste vollkommen funktionstüchtige Sinn. Zwei wichtige Funktionen des Geschmackssinns sind beispielsweise das Auslösen von Verdauungsreflexen und das Auslösen von sogenannten Feed-Forward-Kontrollsystemen. Bei den Verdauungsreflexen wird zwischen Nahen und Entfernten unterschieden. Das hat mit der anatomischen Distanz vom Ursprungsort und dem Ort des Effektes zu tun. Nahe Verdauungsreflexe sind beispielsweise die Speichelproduktion oder ein Würgereiz bei schlechtem Geschmack. Ein entfernter Verdauungsreflex ist einer, der seinen Effekt nicht direkt im Mundraum hat, sondern weiter entfernt, beispielsweise in der Bauchspeicheldrüse. Wenn Sie also etwas Süsses essen und damit Ihre Süss-Rezeptoren auf der Zunge anregen, wird Insulin aus der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet. Insulin senkt den Blutzuckerspiegel.

Dieses sogenannte Feed-Forward-Kontrollsystem hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile kommen daher, dass die Bauchspeicheldrüse von der Nahrungszusammensetzung erfährt, lange bevor die Nahrung in den Darm gelangt, und sich so optimal darauf vorbereiten kann. Der grosse Nachteil besteht jedoch darin, dass dieses System getäuscht werden kann. Diese Täuschungsmöglichkeit der Süss-Rezeptoren wird zum Beispiel von Getränkeherstellern, die eine „Zero-Version“ ihres klassischen Getränks verkaufen, ausgenutzt. Diese Versionen enthalten zwar keinen Zucker, jedoch viele andere künstliche Süssungsmittel, welche ebenfalls die Süss-Rezeptoren der Zunge aktivieren und somit eine Insulin-Ausschüttung verursachen. Der Effekt ist in diesem Fall noch stärker, da das Insulin wirkt, es jedoch gar keinen Zucker zu verdauen gibt. Das Resultat ist eine Unterzuckerung (zu tiefer Blutzucker), die Hunger verursacht und schlussendlich den vermeintlichen Vorteil eines „Zero-Getränks“ zunichtemacht.

Es gibt fünf Geschmacksqualitäten: süss, sauer, salzig, bitter und umami. Umami ist eine sehr neue Geschmacksqualität. Das Wort „umami“ kommt aus dem Japanischen und bedeutet Wohlgeschmack. Umami kann am ehesten mit „proteinartig“ beschrieben werden. Ein gutes Steak kommt der Geschmacksqualität vermutlich am nächsten. Allen Geschmacksqualitäten ist gemeinsam, dass sie über Rezeptoren wahrgenommen werden. „Scharf“ ist keine Geschmacksqualität, da Schärfe durch das Triggern von freien Nervenendigungen in der Schleimhaut der Zunge vermittelt wird und nicht über spezifische Rezeptoren. Spannend sind auch die Empfindlichkeitsunterschiede, welche ebenfalls einen evolutionären Hintergrund haben. Die Schwelle für sauer und bitter liegt deutlich tiefer als diejenige für salzig und süss, was damit zu tun hat, dass Gifte vor allem sauer und bitter sind. Für die Geschmacksqualität umami konnte man bis anhin keine Schwelle definieren. Die Rezeptoren sind sehr komplex, lassen sich jedoch generell in zwei Klassen unterteilen. Es gibt Rezeptoren, die Ionenkanäle für die Verarbeitung verwenden, und solche, die komplexe Kaskaden auslösen. Nur „salzig“ und „sauer“ werden durch Ionenkanäle vermittelt.

Bis vor ungefähr zehn Jahren galt die Annahme, dass es für die verschiedenen Geschmacksqualitäten spezifische Geschmackszonen auf der Zunge gibt. Diese Annahme hat sich jedoch als falsch herausgestellt: Die Rezeptoren sind alle diffus verteilt auf der Zunge, was es jedoch gibt, sind Bereiche mit höherer Rezeptordichte (wie beispielsweise an der Zungenspitze und am Zungengrund) und Bereiche mit tiefer Rezeptordichte (wie an der Seite der Zunge). Die Zusammensetzung der Rezeptoren an einem Ort mit hoher Rezeptordichte ist jedoch absolut diffus. Es gibt an der Zungenspitze also Rezeptoren für alle Geschmacksqualitäten.

Jil Toman

Jil Toman

Student Humanmedizin
Medizinischer Content-Provider (MED4LIFE)