Heute ist die Anästhesie ein unentbehrliches Fachgebiet der Medizin. Anästhesistinnen und Anästhesisten sind aus den Krankenhäusern nicht mehr wegzudenken. Sie ermöglichen nicht nur schmerzfreie chirurgische Eingriffe, sondern überwachen während diesen auch die Vitalfunktionen der Patienten. Des Weiteren finden ihre Fachkenntnisse Anwendung in der Notfall-, Schmerz-, Intensiv- und Palliativmedizin. Die Heilkunst des Betäubens wurde jedoch nicht immer geschätzt. Zeitweise wurde das Operieren unter Narkose sogar verhöhnt. Weshalb sich die Anästhesie schlussendlich doch durchsetze, welche Rolle dabei eine Königin spielte und wie die Anästhesie auch die Chirurgie revolutionierte, wird in diesem Artikel behandelt.

Das Wort Anästhesie kommt aus dem Griechischen und bedeutet Empfindungslosigkeit. Die Betäubung kann entweder nur einen Teil des Körpers betreffen (Teilnarkose) oder das gesamte Bewusstsein und Schmerzempfinden ausschalten (Vollnarkose). Das Wort Narkose, ebenfalls aus dem Griechischen kommend, bedeutet so viel wie erstarrend, lähmend oder einschläfernd. Die Geschichte und Entstehung der Anästhesie ist mit jener der Chirurgie eng verflochten. Schon in der Antike wurde im weitesten Sinne operiert. Damals waren in der Armee Sanitäter und Wundärzte tätig, die unter unvorstellbaren Bedingungen Amputationen und andere Eingriffe durchführten. Obwohl sich das anatomische Wissen mit den Jahren durch die fortschreitende Wissenschaft stark verbesserte, blieb die Technik der Chirurgen, damals Handwerker genannt, relativ ähnlich. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ein chirurgischer Eingriff wie folgt durchgeführt: Der Patient wurde auf einer Liege gefesselt und von Assistenten festgehalten. Der Chirurg setzte mit einem scharfen Messer zum Schnitt an und der Patient wurde bei vollem Bewusstsein operiert. Dabei wurde die Arbeit des Chirurgen durch die Gegenwehr des Patienten erschwert. Konnte sich der Patient befreien, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er verblutete. Aus diesem Grund bestand die Kunst darin, die Dauer des Eingriffs möglichst kurz zu halten. Die Ärzte sollen während einer Operation schwarze Kittel getragen haben, um die Patienten mit den Blutflecken nicht zu erschrecken.  Üblicherweise wurden die Eingriffe ausserdem im sogenannten «Operating Theater» durchgeführt. Dabei handelt es sich um grosse Sääle, die mit Zuschauern – vorwiegend Medizin-Studenten – gefüllt waren. Das Betäuben der Patienten galt in den Augen der meisten Chirurgen als unnötiges zusätzliches Risiko und wurde als «Yankee Humbug» abgewertet. Übersetzt bedeutet dies «amerikanischer Schwachsinn».

Am 16. Oktober 1846 sollte jedoch Schwung in die ganze Entwicklung kommen. Im Massachusetts General Hospital (Boston, USA) war eines dieser «Operating Theaters» bis zum letzten Platz gefüllt. Der Chirurg John Warren wollte dem Patienten Edward Abbott einen Halstumor entfernen. Doch nicht die Operation zog das Publikum an, sondern der Zahnarzt William Morton. Dieser wollte den Patienten nämlich mit Äther während des Eingriffs schlafen lassen. Äther, bekannt als Diethylether, ist eine chemische Flüssigkeit, die ähnlich wie Alkohol wirkt, jedoch viel schneller anschlägt. Bevor der Schlaf eintritt, hemmt es die Schmerzrezeptoren und die Muskelreflexe. Dazu löst es eine euphorische Stimmung aus und hemmt somit die Angst. Die Operation war erfolgreich, der Patient Edward Abbott wachte nach dem Eingriff auf und gab an, während der Prozedur keine Schmerzen empfunden zu haben. Auch der Chirurg soll zufrieden gewesen sein, habe er doch viel präziser und entspannter operieren können, während der Patient schlief. Obwohl der Eingriff ein voller Erfolg war, setzte sich die Methode der Narkose nur zögerlich durch. Viele Mediziner scheuten sich vor den Risiken und setzten auf die altbewährte Methode des schnellen und schmerzhaften Operierens.

Dies änderte sich sieben Jahre später in der Nacht des 7. April 1853. Königin Viktoria von Hannover lag in den Wehen ihres achten Kindes. Da sie bei ihren vorherigen Geburten unter enormen Schmerzen gelitten hatte, liess sie den bis dato unbekannten Doktor Snow rufen. Dieser sollte ihr helfen, die Schmerzen zu lindern. Doktor Snow kam kurz nach Mitternacht und tröpfelte der Königin nach jeder Kontraktion fünfzehn Tropfen Chloroform auf ein Taschentuch und liess die Königin inhalieren. Chloroform (chem. Bezeichnung: Trichlormethan) hat eine schmerzsenkende und betäubende Wirkung. So konnte die Königin ohne Komplikationen und Schmerzen ihren Sohn Albert um 01:13 Uhr auf die Welt bringen. Diese Botschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Unter dem eindrucksvollen Namen «l’anesthésie à la reine» (Anästhesie der Königin) wurde Chloroform so populär, dass sich das Volk nicht mehr ohne Betäubung operieren lassen wollte. Dies hatte zur Folge, dass sich nur wenige Jahrzehnte später die gesamte Technik der Chirurgie revolutionierte. Die schnelle Chirurgie, in der rapide aufgeschnitten wurde, war vorbei. Das Aufschneiden des Gewebes wurde nun vorsichtig und Schicht für Schicht durchgeführt, wobei Blutungen sofort gestillt werden konnten. Die Überlebensrate stieg signifikant und die Chirurgie wurde zu einer Wissenschaft der Präzision.

Aber auch die Anästhesie entwickelte sich über die Jahrzehnte weiter. Bald wurde Chloroform wegen seiner toxischen Wirkung auf Leber und Herz nicht mehr verwendet. Auch Äther wurde durch Distickstoffmonoxid, besser bekannt als Lachgas, ersetzt. Dieses erwies sich jedoch als ausserordentlich umweltschädlich (bis zu dreihundert Mal schädlicher als CO2) und wird heute nur noch in Ausnahmesituationen, wie zum Beispiel bei Allergien auf gängige Narkotika, eingesetzt. Die heutige moderne Narkose wird direkt in die Blutbahn injiziert. Das am häufigsten verwendeten Narkotikum ist Propofol (2,6-Diisopropylphenol). Dieses hat die Vorteile, dass es gut dosierbar ist und nach Beenden der Infusion schnell abgebaut wird. Patienten berichten häufig nach dem Aufwachen von einem prächtigen und himmlischen Schlaf. Deswegen und wegen der weisslichen Farbe wird es auch oft «happy milk» genannt. Die Anästhesie hat einen steinigen Entwicklungsweg hinter sich. Glücklicherweise hat sie es trotzdem geschafft, sich in der modernen Medizin fest zu etablieren.

Quellen

van de Laar, A. (2016). Schnitt! Die ganze Geschichte der Chirurgie erzählt in 28 Operationen. (Deutsche Auflage). Droemer Verlag.

https://www.drugcom.de/drogenlexikon

Milos Morarevic

Student Humanmedizin (MED4LIFE)