Mit Versprechen wie Schutz vor Krebserkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen oder einer Infektion kaufen Konsumenten vermehrt Nahrungsergänzungsmittel. Dahinter steckt ein Milliardenmarkt. Im ersten Quartal der Corona-Pandemie 2020 wurden doppelt so viele Vitamin-C-Präparate in Drogerien verkauft wie im Vorjahr (Gesundheitsmagazin, 2021). Zu den Nahrungsergänzungsmitteln zählen Präparate mit Vitaminen, Mineralstoffen, Kräuterextrakten, Spurenelementen und Aminosäuren. Doch ist eine Supplementierung von Nährstoffen wirklich sinnvoll, oder verbergen sich dahinter auch Risiken?
Nahrungsergänzungsmittel versus Arzneimittel
Nahrungsergänzungsmittel zählen in der Schweiz als Lebensmittel und nicht als Heilmittel. Daher unterstehen sie dem Lebensmittelrecht und dürfen nicht als Vorbeugung oder Behandlung einer Erkrankung vermarktet werden. Nahrungsergänzungsmittel findet man in Tablettenform, Kapseln, Pulver oder Tropfen. Sie bedürfen keiner Bewilligung, das bedeutet, dass der Hersteller selbst für die Sicherheit des Mittels zuständig ist. Die jeweils zuständige kantonale Behörde kontrolliert jedoch stichprobenweise die rechtlichen Vorgaben (BLV).
Schutz vor Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen?
In den Medien ist oft davon die Rede, man solle Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, um sein Immunsystem zu stärken und Erkrankungen vorzubeugen. Doch steckt dahinter nur geschicktes Marketing? Verschiedene Studien und Studienanalysen haben genau dies untersucht. Um die Frage zu beantworten, muss man sich mit den einzelnen Nährstoffen auseinandersetzen:
Vitamin A – Vitamin A gehört zu den fettlöslichen Vitaminen. Dazu gehören auch Vitamin D, E und K. Fettlösliche Vitamine können nur schwer vom Körper ausgeschieden werden und tragen daher bei Überdosierung Risiken. Studien zeigen, dass eine exzessive Vitamin-A-Supplementierung das Risiko für Krebserkrankungen erhöht und bei Schwangeren zur Schädigung des ungeborenen Kindes führen kann (Cortés-Jofré et al., 2020).
Folsäure (Vitamin B9) – Folsäuremangel betrifft viele Menschen in der Bevölkerung und sollte bei klinisch-nachgewiesenen Mangel und besonders in der Schwangerschaft durch eine Supplementierung behandelt werden. Jedoch zeigt sich in Studien kein Schutz vor Krebserkrankungen oder eine längere Lebensdauer bei Personen, die Folsäure ohne einen nachgewiesenen Mangel einnehmen (Fortmann et al., 2013).
Vitamin B12 – Vitamin B12 kommt hauptsächlich in tierischen Produkten wie Fleisch, Fisch und Milcherzeugnissen vor. Hier zählen Vegetarier und Veganer zur Risikogruppe. Personen, die dauerhaft Magenschutzmittel einnehmen, nehmen Vitamin B12 schlechter durch die Nahrung auf, ebenso wie Personen nach einer Magenbypass-Operation. Bei nachgewiesenem Mangel ist die Substitution von Vitamin B12 durchaus sinnvoll – entweder in Tablettenform oder durch Injektionen.
Vitamin C – Vitamin C ist ein wasserlösliches Vitamin und kann daher bei Überdosierung durch den Harn ausgeschieden werden. Vitamin C zählt als wichtiges Vitamin für das Immunsystem. Studien zeigen, dass eine Vitamin-C-Ergänzung bei Atemwegserkrankungen durchaus sowohl in der Prophylaxe als auch in der Behandlung sinnvoll ist (Carr & Maggini, 2017). Daher kann es auch hilfreich sein, die Einnahme von Vitamin C während einer Erkältung zu erhöhen, beispielsweise durch das Trinken von Orangensaft oder in Tablettenform. Viele Schmerzmedikamente enthalten zudem zusätzlich Vitamin C zur Stärkung des Immunsystems. In Studien konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass eine Supplementierung durch Vitamin C zu einem Schutz vor Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen oder zu einem längeren Leben führt (Fortmann et al., 2013).
Vitamin D – Geringe UV-Strahlung im Winter, Resorptionsstörungen und Mangelernährung können zu einem Vitamin-D-Mangel führen. Eine orale Substitution mit Vitamin D3 ist hier für die Prophylaxe sowie die Behandlung sinnvoll. Jedoch ist Vorsicht geboten – eine zu hohe Vitamin-D3-Zufuhr kann zu einem lebensbedrohlichen Kalziumanstieg führen. Es gilt eine Maximaldosis von 100mcg Vitamin D pro Tag.
Vitamin E – Eine Supplementierung mit Vitamin E zeigte in Studien keinen Schutz vor Erkrankungen und auch keinen Zusammenhang mit einem längeren Leben (Cortés-Jofré et al., 2020). Dagegen birgt eine zu hohe Einnahme von Vitamin E ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle durch eine Blutung im Hirn (ebd.).
Eisen – Die Eisenmangelanämie ist die häufigste Mangelernährung der Welt. Besonders Frauen und Kinder sind betroffen. Eisenverwertstörungen, Resorptionsstörungen, Blutungen sowie auch eine vegetarische Ernährung können zu Eisenmangel führen. Die Substitution ist bei Personen mit klinisch nachgewiesenem Eisenmangel sinnvoll.
Selen – Studien konnten nicht nachweisen, dass der zusätzliche Zufuhr von Selen zu einer Risikosenkung von Krebserkrankungen oder einer längeren Lebenserwartung führt (Cortés-Jofré et al., 2020). Die exzessive Supplementation kann jedoch zu Verstopfungen, Durchfall und Blähungen führen.
Zink – Zink wird zusammen mit Vitamin C oft in Präparaten zur Stärkung des Immunsystems angepriesen. Es konnte bis dato jedoch nicht festgestellt werden, dass eine Supplementierung mit Zink gesundheitliche Vorteile hat. Darüber hinaus kann eine zu hohe Zufuhr durch Interaktionen zu einem Kupfermangel führen. Kupfer ist ein wichtiger Botenstoff des Nervensystems, und ein Kupfermangel führt zu einer gestörten Bildung der roten Blutzellen (Maret & Sandstead, 2006).
Wer braucht Nahrungsergänzungsmittel?
Prinzipiell führt eine ausgewogene Ernährung durch eine ausreichende Menge Obst, Gemüse und Ballaststoffe zu einer genügenden Zufuhr von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen. Während einer Erkältung kann zur Stärkung des Immunsystems vor allem die zusätzliche Zufuhr von Vitamin C sinnvoll sein. Hingegen konnte dieser Effekt bei anderen Vitaminen und Mineralien nicht bewiesen werden. Zu Mangelernährungszuständen neigen vor allem Personen mit einer restriktiven Ernährung, Kinder, ältere Personen und Personen mit bestimmten Erkrankungen. Bei klinisch nachgewiesenen Mängeln und entsprechender Symptomatik ist eine Substitution mit Nahrungsergänzungsmitteln durchaus sinnvoll. Ein Mangel kann durch eine Blutuntersuchung festgestellt werden. Jedoch sollte eine Überdosis vermieden werden: Eine zu hohe Menge an Nahrungsergänzungsmitteln kann dem Körper schlimmstenfalls Schaden zufügen – und bestenfalls im Urin ausgeschieden werden.
Quellen
BLV, B. für L. und V. (o. J.). Nahrungsergänzungsmittel. Abgerufen 3. Mai 2023, von https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/lebensmittelsicherheit/einzelne-lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel.html
Carr, A. C., & Maggini, S. (2017). Vitamin C and Immune Function. Nutrients, 9(11), 1211. https://doi.org/10.3390/nu9111211
Cortés-Jofré, M., Rueda, J.-R., Asenjo-Lobos, C., Madrid, E., & Bonfill Cosp, X. (2020). Drugs for preventing lung cancer in healthy people. The Cochrane Database of Systematic Reviews, 3(3), CD002141. https://doi.org/10.1002/14651858.CD002141.pub3
Gesundheitsmagazin (2021, April 7). Warum Vitamine mehr schaden als nutzen können. https://www.aok.de/pk/magazin/ernaehrung/vitamine/warum-vitamine-mehr-schaden-als-nutzen-koennen/
Fortmann, S. P., Burda, B. U., Senger, C. A., Lin, J. S., Beil, T. L., O’Connor, E., & Whitlock, E. P. (2013). Vitamin, Mineral, and Multivitamin Supplements for the Primary Prevention of Cardiovascular Disease and Cancer: A Systematic Evidence Review for the U.S. Preventive Services Task Force. Agency for Healthcare Research and Quality (US). http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK173987/
Maret, W., & Sandstead, H. H. (2006). Zinc requirements and the risks and benefits of zinc supplementation. Journal of Trace Elements in Medicine and Biology: Organ of the Society for Minerals and Trace Elements (GMS), 20(1), 3–18. https://doi.org/10.1016/j.jtemb.2006.01.006
Assistenzärztin (MED4LIFE)