Ende 2021 hat das Schweizer Parlament entschieden, dass der Umgang mit Organspendern grundlegend geändert wird. Bis anhin musste man sich melden und Formulare ausfüllen, wenn man Organspender sein wollte. Künftig wird es gemäss Parlamentsentscheid so sein, dass man, ohne jegliche Schritte zu tätigen, automatisch Organspender wird. Das soll heissen, dass man sich aktiv gegen die Organspende aussprechen muss, um nach dem Tod nicht Organspender zu werden. Fachsprachlich geschieht also ein Übergang von der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung. Die Widerspruchslösung besagt ganz einfach, dass Schweigen einer Zustimmung zur Organspende gleichkommt. Das birgt grosse ethische Fragen, welche in diesem Artikel nebst den Fragen rund um die Organspende erörtert werden.

Kürzlich wurde das Referendum gegen diese Änderung eingereicht. Voraussichtlich am 15. Mai 2022 werden wir als Volk über diese Änderung abstimmen. Wichtig für die Volksabstimmung ist die Unterscheidung zwischen der engen und erweiterten Widerspruchslösung. Die enge Widerspruchslösung, welche vom Parlament verworfen wurde und nicht zur Abstimmung steht, würde besagen, dass Angehörige der Organentnahme nicht widersprechen können, wenn die verstorbene Person ihren Widerspruchswillen zu Lebzeiten nicht festgehalten hat. Das bedeutet folglich auch, dass einzig und allein die betroffene Person Einfluss auf ihre Organspende nehmen kann. Die erweiterte Widerspruchslösung, welcher das Parlament zugestimmt hat, berücksichtigt die Angehörigen beim Entscheid zur Organspende, wenn von der verstorbenen Person diesbezüglich nichts festgehalten wurde.

Das vermutlich naheliegendste ethische Problem tritt auf, wenn diese Änderung von jemandem gar nicht zur Kenntnis genommen wird. Um dieses Problem zu lösen, müsste jede einzelne in der Schweiz lebhafte Person über die Änderung informiert werden. Das ist gar nicht so einfach, wie es klingt, wenn man an Sprachbarrieren, verschiedene Altersgruppen, welche ohne digitale Medien auskommen, oder geistig beeinträchtigte Personen denkt. Dabei ist die erweiterte Widerspruchslösung grundsätzlich ein optimaler Kompromiss. Er federt dieses ethische Problem teilweise ab, da bei dieser erweiterten Widerspruchslösung Angehörige, wie oben ausgeführt, in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden.

Ein zweites ethisches Problem kommt auf, wenn man an die Organspende im Allgemeinen denkt. Im Prinzip muss dieses komplexe Thema final auf eine Ja-Nein-Antwort heruntergebrochen werden. Die erweiterte Widerspruchslösung regt einerseits dazu an, sich bereits früh genug mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Es kann andererseits bei gewissen Personen jedoch auch ein negatives Druckgefühl auslösen, wenn dieses Thema vonseiten der Politik auf einmal so aktuell wird und man selbst nicht gewillt oder in der Lage ist, sich mit der Organspende zu befassen.

Aus meiner Sicht ist hierbei wichtig, dass man sich über die Bedeutung der Organspende klar wird und sich persönlich Gedanken zu der eigenen Haltung macht, ohne zu stark an die Politik zu denken. Denn auch mit der Änderung von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung, wäre es immer noch einfach, sich gegen die Organspende auszusprechen. Nebst dem Vorteil, dass die erweiterte Widerspruchslösung die potentiellen Organspender zeitlich früher zum Nachdenken anregt, wird auch die Anzahl der Personen, die sich mit Organspende befassen automatisch erhöht. Denn mit der erweiterten Widerspruchslösung muss sich jede in der Schweiz lebhafte Person die Frage stellen, ob sie Organe spenden will oder nicht.

Bei der Zustimmungslösung ist es hingegen so, dass nur die Personen, die Organspender sein wollen, aktiv etwas unternehmen und sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Als Gegner der Organspende reicht es bei der Zustimmungslösung aus, nichts zu tun. Mit der erweiterten Widerspruchslösung müssten sich die Gegner der Organspende immerhin einmal die Frage stellen, wie sicher sie sich in ihrem Entscheid sind, und dann ein entsprechendes Formular ausfüllen. Auch wird mit der erweiterten Widerspruchslösung ein ganz grosser Teil der Bevölkerung, der bis anhin keine Haltung zur Organspende bezogen hat, abgeholt. All diejenigen, die eigentlich nicht gegen die Organspende sind, aber nicht aktiv geworden sind und einen Spenderausweis haben machen lassen, müssen in Zukunft nur sehr wenig tun, um Organspender zu werden. Bis anhin sind solche Leute mit der Zustimmungslösung untergegangen. Mit der erweiterten Widerspruchslösung müsste man einzig das Umfeld informieren, dass man nicht abgeneigt ist, im Todesfall seine Organe zu spenden.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass bei dieser Änderung die medizinischen Voraussetzungen, um dann auch wirklich Organspender sein zu können, genau die gleichen bleiben. Aktuell und auch bei Annahme der erweiterten Widerspruchslösung ist es so, dass nur Personen, die im Spital an einer schweren Hirnschädigung oder einem anhaltenden Herz-Kreislauf-Stillstand versterben, Organspender sein können. Personen, die beispielsweise zuhause versterben, können keine Organspender sein, auch wenn sie sich nicht gegen die Organspende ausgesprochen haben. Das hängt damit zusammen, dass der Hirntod ein zentrales Kriterium ist, ob eine Organspende stattfinden darf oder nicht. Eine Person muss absolut hirntot sein, dass Organe entnommen werden dürfen. Zudem ist das Zeitfenster, in dem nach dem Hirntod das Herz-Kreislauf-System für die Transplantation künstlich aufrechterhalten werden kann, sehr kurz.

Zum Abschluss folgen nun noch einige Kennzahlen, welche die Dringlichkeit einer Anpassung der Organspenderegelung verdeutlichen. Eine wichtige Kennzahl ist die Wartezeit für eine Organtransplantation. Beim in der Schweiz mit Abstand am häufigsten transplantierten Organ, der Niere, liegt der Median der Wartezeit bei über 900 Tagen! Die kürzeste erfasste Wartezeit für eine Niere liegt bei knapp 500 Tagen. Selbst das ist eine sehr lange Zeit, die durch breitere Organspenden massiv verkürzt werden kann. Beim Herz und der Leber liegt der Median bei ungefähr 300 Tagen Wartezeit. In den letzten Jahren wurden in der Schweiz konstant um die 500 Organe von verstorbenen Personen transplantiert (BAG, 2022).

Quelle

BAG (2022). Kennzahlen zur Transplantationsmedizin. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-fakten-zu-transplantationsmedizin/zahlen-fakten-zur-spende-und-transplantation-von-organen/kennzahlen-transplantation-und-empfang-von-organen.htmlv (zuletzt am 15.03.2022 um 20:30)

Jil Toman

Student Humanmedizin
Medizinischer Content-Provider (MED4LIFE)