Dieser Artikel analysiert in einer arbeitsmedizinischen Betrachtungsweise die gesundheitsschädlichen Faktoren für medizinisches Personal. Dabei werden die verschiedenen Stakeholder rund um Therapie, Pflege und Ärzteschaft wo nötig individuell betrachtet. Auch arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen wird die nötige Beachtung geschenkt, unter anderem weil diese gerade innerhalb der Gesundheitsbranche oftmals noch stärker tabuisiert werden als ohnehin.

Der naheliegendste gesundheitsschädliche Faktor für medizinisches Personal betrifft die Umgebung. Beinahe sämtliches medizinisches Personal ist jeden Tag kranken Menschen ausgesetzt.  Es liegt daher auf der Hand, dass  das Personal insbesondere vor ansteckenden Krankheiten geschützt werden muss. Dabei geht nicht nur um den Schutz des medizinischen Personals selbst, sondern auch darum, weitere Patientinnen und Patienten vor einer Übertragung zu schützen. Die gängigsten Methoden, um dies im Spitalalltag zu erreichen, sind beispielsweise  Isolationszimmer, spezielle Schutzausrüstung sowie hohe Hygienestandards.

Bei den Hygienestandards denkt man zweifelsohne zuerst an die Händedesinfektion. Es gibt jedoch weitere Mittel zum Schutz des Personals und der Patientinnen und Patienten. Beispielsweise kann eine Keimübertragung durch Flächendesinfektion von Untersuchungsliegen erreicht werden. Es gibt kaum Zahlen dazu, doch die alltägliche Erfahrung zeigt, dass Hygienestandards oft nicht eingehalten werden. Meist werden mangelnde Ressourcen (Zeit und Kosten) als Hauptgrund angegeben.

Das häufige Auftreten von Rückenschmerzen ist gerade bei der Pflege oft nicht nur auf physische, sondern auch auf psychische Faktoren zurückzuführen. Zudem gibt es in der Pflege viele Aufgaben, die fast nur in einer für den Rücken ungesunden Position möglich sind. Beispiele hierfür wären die Körperpflege von bettlägerigen Patientinnen und Patienten oder auch das Legen eines Katheters. Weil die Zeit in der Pflege extrem knapp ist, bleibt zudem kaum Zeit, den Rücken adäquat zu entlasten. Diese Faktoren zusammen tragen zu der überdurchschnittlichen Häufigkeit von Rückenschmerzen in der Pflege bei.

Es lohnt sich, den Rückenschmerzen vorzubeugen. Das kann durch einfachste Übungen geschehen. Es hilft beispielsweise bereits, zweimal pro Tag mit dem Rücken aufrecht gegen eine Wand zu stehen und zu versuchen, den gesamten Rücken gegen die Wand zu drücken. Das hilft dabei, die Wirbelsäule zu entlasten und auch die grossse Rückenmuskulatur in ihrer Ausrichtung zu entspannen.

Das medizinische Personal ist durch die hohe Verantwortung zudem auch einem starken Stress und psychischen Druck ausgesetzt. Die hohe Zahl von Berufsaussteigerinnen und Berufsaussteiger in der Pflege oder die Burnoutrate von Ärztinnen und Ärzten belegen dies. Dennoch wird es enorm tabuisiert. Gerade Ärztinnen und Ärzten fällt es tendenziell enorm schwer, sich Schwächen und Grenzen einzugestehen. Immer mehr Spitäler richten daher Sprechstunden oder Gruppentherapien für medizinisches Personal in psychischer Not ein. Ein Beispiel dafür wären sogenannte Balint-Gruppen. In einer Balint-Gruppe treffen sich ungefähr 10 Personen und besprechen anhand eines erlebten Falls einen möglichen emotionalen Umgang damit. Alleine das Austauschen und die Auseinandersetzung mit den Emotionen unter Gleichgesinnten hilft dabei, die Last zu verkleinern.

Abschliessend kann also festgehalten werden, dass Hygienestandards meist leider nicht genügend umgesetzt werden und der Hauptgrund für die Übertragung von Infektionskrankheiten auf medizinisches Personal sind. In der Pflege sind zudem Rückenschmerzen überdurchschnittlich häufig. Psychische Erkrankungen wurden bis anhin in allen Bereichen der Gesundheitsbranche stark tabuisiert und die Enttabuisierung erfolgt nur sehr langsam. Aber auch psychische Belastungen sollten als gleichwertige gesundheitsschädigende Faktoren für medizinisches Personal anerkannt werden.

Jil Toman

Jil Toman

Student Humanmedizin
Medizinischer Content-Provider (MED4LIFE)

Die Psychosomatik beschreibt ein interdisziplinäres Fachgebiet der Medizin, das sich mit dem Einfluss von psychischen und sozialen Faktoren auf den Körper auseinandersetzt. Sie beschäftigt sich somit mit der Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper. Dieses Fachgebiet ist verhältnismässig jung. Die Menschheit brauchte also lange, um zu erkennen, dass die Psyche nicht isoliert betrachtet werden sollte, sondern immer auch Auswirkungen auf Funktionen des Körpers hat. Bekannte Beispiele sind Veränderungen des Blutdrucks oder des Atemverhaltens bei starken psychischen Belastungen. Diese Wechselwirkung ist jedoch keine Einbahnstrasse. Es ist also nicht so, dass nur die Psyche einen Einfluss auf körperliche Funktionen haben kann. Es kann auch vorkommen, dass körperliche Einschränkungen einen negativen Einfluss auf die Psyche haben.

Die Psychosomatik ist sowohl für die Patient*innen als auch die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt sehr komplex. Diese Komplexität wird anhand des Beispiels der unspezifischen Rückenschmerzen etwas genauer erläutert. Das Beispiel liefert auch vertiefte Einblicke in den Umgang mit psychosomatischen Erscheinungsbildern bei Patienten. Die Hauptgründe für Rückenschmerzen in der Schweiz sind gemäss des Rückenreports 2020 von der Schweizerischen Ärztezeitung Muskelverspannungen (55%), Überbelastung (38%), falsche Bewegungen (37%) und Stress, Sorgen und Probleme (33%) (Mehrfachangaben waren möglich, daher sind es insgesamt nicht 100%). Die gegenseitige Beeinflussung von Rückenschmerzen und der psychischen Gesundheit gilt es also ernst zu nehmen. Immerhin liegen bei einem Drittel der Patienten mit Rückenschmerzen auch psychische Faktoren vor.

Diese psychischen Faktoren sind für die Ärzteschaft schwerer greifbar. Erfährt man zum Beispiel, dass ein Patient bei der Arbeit oft schwere Lasten trägt und beim Sitzen eine ungünstige Haltung einnimmt, ist der Grund für die Rückenschmerzen einfach zu diagnostizieren. Wenn der Grund bekannt ist, wird es auch einfacher, den optimalen Behandlungsplan auszuarbeiten. Wenn hingegen psychische Gründe als Hauptursache für Rückenschmerzen verantwortlich gemacht werden, ist der gesamte Prozess deutlich schwieriger. Erstmals ist es schwieriger, psychische Faktoren ausfindig zu machen. Fälschlicherweise gehen Ärztinnen und Ärzte meistens bis immer von einem somatischen Grund aus. Ist die Ursache jedoch nicht körperlich bedingt, gibt es eine Diskrepanz zwischen Befund und Befinden. Angenommen ein Befund (zum Beispiel ein bildgebendes Verfahren oder eine Haltungsanalyse) gibt keinen Aufschluss darüber, wieso eine Patientin Rückenschmerzen hat, so kann man als Ärztin oder Arzt der Patientin mitteilen: „Die Diagnoseverfahren haben nichts ergeben, Sie haben also nichts.“ Denn das Befinden dieser Patientin bleibt beeinträchtigt und sie leidet an Rückenschmerzen. Nur weil der Befund es nicht bestätigen konnte, heisst das nicht, dass die Patientin keine Schmerzen hat. Das ist eine sehr schwierige Situation für beide Seiten. Die Patientin möchte gerne wissen, woher die Schmerzen kommen, und der Arzt oder die Ärztin kann diese Frage aufgrund der Diskrepanz zwischen Befinden und Befund (noch) nicht beantworten.

Als Arzt oder Ärztin ist dann der nächste logische Schritt, dass man die psychische Komponente miteinbezieht und entsprechend bei der Patientin nachfragt. Das birgt jedoch auch Probleme und die Situation wird dadurch deutlich komplexer. Über psychische Gründe zu sprechen, fällt Patient*innen oft schwer. Aber auch der Arzt oder die Ärztin muss sich genau überlegen, wie er oder sie dieses Thema am besten angegangeht. Denn der Weg, psychische Gründe als Hauptgrund zu vermitteln ist schwieriger als festzustellen, dass eine Fehlhaltung beim Sitzen der Grund für die Rückenschmerzen sind. Ganz wichtig dabei ist, dass psychische Komponenten nicht gleich eine schwere Depression sein müssen und dies auch klar angesprochen wird. Patient*innen denken beim Wort Psyche schnell an sehr schlimme psychisch bedingte Krankheiten. Oftmals ist es daher einfacher, zu Beginn eher von «Stress» und nicht von «Psyche» zu sprechen. Wenn nun also die Patientin gefragt wird, ob sie bei der Arbeit einem hohen Stresslevel ausgesetzt ist oder sie privat viel Stress erlebt und sie diese Frage bejaht, kann dies besprochen und möglicherweise als Grund für die Rückenschmerzen ausgemacht werden. Das braucht viel Empathie vonseiten der Ärzteschaft und dann auch einen Behandlungsplan, der nicht nur mögliche Medikamente und Physiotherapie umfasst, sondern bei schweren Fällen auch psychische Hilfe.

Oftmals sind Rückenschmerzen nicht nur auf eine Ursache zurückzuführen. Das zeigen auch die Prozentangaben beim Rückenreport von der Schweizerischen Ärztezeitung. Vielleicht oder eher hoffentlich bewegt sich die Medizin in Zukunft noch stärker dahin, dass der psychische Gesundheitszustand bei Rückenschmerzen stärker und vor allem früher miteinbezogen wird. Das erlaubt bei (teils) psychisch bedingten Rückenschmerzen nicht nur schnellere Behandlungsoptionen, sondern spart auch Gesundheitskosten ein, da ein langes Suchen nach der Ursache meist mit hohen Kosten verbunden ist.

Quelle

Müller, Angela (2021). Rückenreport 2020. https://saez.ch/article/doi/saez.2021.19449 (zuletzt am 09.02.2022 um 17:00)

Jil Toman

Student Humanmedizin
Medizinischer Content-Provider (MED4LIFE)