4.8% der schweizerischen Bevölkerung leidet laut einer Umfrage aus 2019 an Kaufsucht. Dies spiegelt eine Umfrage aus dem Jahr 2003, wobei die Anzahl an Online-Kaufsüchtigen zum ersten Mal erfasst wurde. Demnach leidet 3.8% der Bevölkerung an einer physischen Kaufsucht in herkömmlichen Läden, 2.9% sind online-kaufsüchtig (Faktenblatt zu Kaufsucht – prevention.ch, 2021).

Die Studie zeigt, dass das Bildungsniveau das Kaufverhalten prägt: Personen mit geringerem Bildungsgrad sind häufiger kaufsüchtig. Auch sind jüngere Personen häufiger von Kaufsucht betroffen als ältere. Bei den Geschlechtern teilt sich das Konsumverhalten: Frauen kaufen eher modische Accessoires wie Schuhe, Kleidung und Kosmetik, Männer lieber Technik. Insgesamt befinden bis zu 21% der schweizerischen Bevölkerung in einer Vorstufe der pathologischen Kaufsucht, dem sogenannten risikoreichen Kaufverhalten.

Wie ist Kaufsucht definiert?

Eine eigenständige Diagnose für die Kaufsucht gibt es derzeit noch nicht, sie zählt aber allgemein zu den sogenannten „Verhaltenssüchten“. Dazu gehören zum Beispiel Spiel- und Glücksspielsucht. Auch wenn sich die Wissenschaft also noch nicht einig ist, wie Kaufsucht definiert werden soll, kann man sich an folgenden Merkmalen orientieren:

  • Es besteht wiederholt ein Kontrollverlust beim Einkaufen
  • Es kommt zu häufiger und intensiver Beschäftigung mit Kaufen
  • Man kauft vermehrt Dinge, die nicht benötigt werden und die eigenen finanziellen Mittel übersteigen (finanzieller Leidensdruck)
  • Das Kaufen benötigt viel Zeit, sodass soziale und berufliche Beziehungen darunter leiden (gesellschaftlicher Leidensdruck)
  • Der Kauf erfolgt aus emotionalen Gründen wie Langeweile, Trauer oder Wut. Kaufen wird als „Belohnung“ empfunden (Kaufsucht, Gesundheitsportal, o. J.)

Doch Vorsicht: Auch bei einer Hypomanie oder Manie kann es zu unkontrolliertem Kaufverhalten kommen. Wenn das exzessive Kaufen zusammen mit weiteren Anzeichen einer Manie auftritt, wie vermindertes Schlafbedürfnis, Appetitlosigkeit, unkontrolliertem Rededrang, Ideenflucht und körperlicher Unruhe sollte dringend medizinischer Rat aufgesucht werden.

Wie äussert sich Kaufsucht?

Hier gibt es kein einheitliches Bild – die Kaufsucht äussert sich bei jedem Betroffenen anders. Manche Betroffene kaufen sich teure, exklusive Artikel. Andere sind auf der Suche nach Schnäppchen. Es gibt Betroffene, die unaufgefordert Geschenke für ihre Freunde und Familie besorgen. Die einen suchen nur im Internet, die anderen sind im Handel unterwegs. Mischformen kommen ebenfalls vor. Viele Betroffene durchlaufen auch längere Phasen, in denen sie ihrer Kaufsucht nicht nachgehen. Wichtig in der Diagnostik der Kaufsucht sind somit vor allem die oben genannten Merkmale (Kaufsucht, 2021).

Wer wird kaufsüchtig?

Alle Betroffenen haben eine objektbezogene Werteorientierung. Diese kann aber verschiedene Ursachen haben. Man geht davon aus, dass eine gewisse psychische Vulnerabilität häufig bereits vor der Kaufsucht besteht. So stecken hinter einer Kaufsucht manchmal zum Beispiel Depressionen, soziale Ängste, Persönlichkeitsstörungen (Borderline-Störung, narzisstische Störung, etc.) oder eine schwierige Kindheit. Allerdings muss die Kaufsucht nicht auf einer psychischen Krankheit gründen. Es gibt auch intrinsische Auslöser; negative Gefühlszustände wie Trauer, Frustration, Langeweile und ein geringes Selbstwertgefühl. Durch den Kauf ist die Stimmung kurz gehoben, dies ist aber kurzlebig – nach kurzer Zeit setzt meist Reue ein.

Wie kann man Kaufsucht behandeln?

Wenn Kaufsucht vorliegt, wird empfohlen, eine Verhaltenstherapie durch einen Psychotherapeuten bzw. einer Psychotherapeutin in Anspruch zu nehmen. Der entscheidende Punkt ist allerdings, dass der oder die Betroffene selbst die notwendige Änderungsmotivation mitbringt. Da das Kaufen eine alltägliche Aktivität ist, kann man es nicht komplett vermeiden. Das heisst, das therapeutische Ziel liegt darin, ein kontrolliertes Kaufverhältnis zu etablieren. Dabei werden die hinter der Sucht verborgenen Bedürfnisse und Enttäuschungen analysiert. Im nächsten Schritt werden alternative Verhaltensweisen gesucht, die zum Vermeiden der Kaufexzesse führen. Zusätzlich kann man das therapeutische Angebot sinnvoll ergänzen: zum Beispiel durch Selbsthilfegruppen, Schuldnerberatung und weitere psychotherapeutischen Angebote (Musiktherapie, Bewegungstherapie, Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankungen (z.B. einer Depression).

Der Kanton Zürich bietet einen Online-Beratungsfinder für diverse Suchterkrankungen an –für stoffgebundene (Alkohol, Cannabis) und Verhaltenssüchte (Kaufsucht, Spielsucht). Durch den Beratungsfinder kann man angeben, welche Art von Angebot man sich vorstellt, beispielsweise mit Onlinetools, vor Ort mit anderen Betroffenen oder durch Fachpersonen in einer Klinik oder Ambulanz. Es lohnt sich in jedem Fall, dieses Tool auszuprobieren – auch wenn man nicht im Kanton Zürich wohnt. Es werden nämlich viele internetbasierte und ortgebundene Angebote ausserhalb des Kantons Zürich empfohlen: https://suchtpraevention-zh.ch/safer-use-und-sucht/verhaltenssuchte/kaufsucht/ („Kaufsucht – Shopping-Sucht“, o. J.).

Was kann ich selbst gegen Kaufsucht tun?

Betroffene können diese Sofortmassnahmen auch ohne Hilfe durchsetzen:

  • Einkauftagesbuch mit genauen Aufzeichnungen der Ausgaben führen
  • Einkaufen während Sonderaktionen vermeiden
  • Auf elektronische Zahlungen verzichten, wann immer möglich mit Bargeld zahlen
  • „One-click“ Funktion bei Online-Käufen deaktivieren
  • Auslöser vermeiden, die suchtartiges Kaufen in Gang setzen (z.B. Stress, Angst)
  • Alternativen Beschäftigungen nachgehen (Hobbies, Arbeit, soziale Kontakte)

Kaufsucht ein zunehmendes Phänomen. Mit ein Grund dafür ist der stark wachsende Online-Markt sowie die Tatsache, dass Kaufhürden tendenziell gesenkt werden (z.B. durch One-Click-Zahlungen online oder kontaktlosen Kartenzahlungen vor Ort). Glücklicherweise findet dieses Phänomen zunehmend Aufmerksamkeit in der Wissenschaft. Das Angebot an Beratungs- und Behandlungsstellen wächst kontinuierlich. Kaufsucht ist ein Krankheitsbild, das sich durchaus behandeln lässt. Wer sich gerne vertiefter mit dem Thema beschäftigen möchte, für den gibt es an dieser Stelle noch eine Filmempfehlung: „Shopaholic – die Schnäppchenjägerin“ (Originaltitel: „Confessions of a Shopaholic“). In diesem Film geht es um eine junge Frau in New York City, die an einer ausgeprägten Kaufsucht leidet. Er basiert auf zwei Romanen von Sophia Kinsella.

Quellen

Faktenblatt zu Kaufsucht—Prevention.ch. (2021, März 16). prevention.ch. https://www.prevention.ch/article/faktenblatt-zu-kaufsucht

Kaufsucht. (o. J.). Gesundheitsportal. Abgerufen 12. Oktober 2022, von https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/kaufsucht.html

Kaufsucht: Wenn Konsum zur Krankheit wird. (2021, Juli 2). https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/sucht/kaufsucht-wenn-konsum-zur-krankheit-wird/

Kaufsucht—Shopping-Sucht. (o. J.). Suchtprävention. Abgerufen 12. Oktober 2022, von http://suchtpraevention-zh.ch/safer-use-und-sucht/verhaltenssuchte/kaufsucht/

dr. med. univ. Anemone Rutter

dr. med. univ. Anemone Rutter

Assistenzärztin (MED4LIFE)

Durch die weltweit alternde Bevölkerung steigt auch die Zahl an Demenzerkrankungen. Laut WHO wird sich die Zahl der Betroffenen bis 2050 praktisch verdreifachen – von 50 Millionen auf 150 Millionen Menschen weltweit (Patterson, World Alzheimer Report 2018.) Demenz ist in der Schweiz und in vielen anderen europäischen Ländern der häufigste Grund für eine Einweisung in ein Pflegeheim. Dennoch tritt die Erkrankung heute in vielen Ländern später ein als in der Vergangenheit. Dies ist Fortschritten in Bereichen wie der Gesundheitsversorgung, Ernährung, Bildung und Lebensstilmodifikationen zu verdanken. Ist es möglich, Demenz vorzubeugen und welche Massnahmen helfen tatsächlich?

Was ist eine Demenz?

Demenz ist keine Krankheit, sondern beschreibt eine Sammlung von Symptomen, die unterschiedliche Ursachen haben können. Insgesamt gibt es über 50 Krankheitsformen. Die Alzheimer-Demenz kommt bei 75% der Betroffenen vor. Merkmale aller Demenzformen sind eine anhaltende und fortschreitende Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses und des Denkens. Dazu kommen oft Persönlichkeitsveränderungen, Verhaltensveränderungen und neurologische Auffälligkeiten wie Gangstörungen. Häufig kommen auch psychiatrische Auffälligkeiten, wie eine Depression hinzu. Frühe Anzeichen einer Demenz sind meist ein gestörtes Frühzeitgedächtnis, Orientierungsstörungen, Wortfindungsstörungen und Stimmungsschwankungen. Als betroffene Person vergisst man zum Beispiel häufig, wo man seine Schlüssel hingelegt hat oder kann sich nicht mehr an einen vertrauten Weg erinnern. Zudem reagieren viele Demenzerkrankte aufgrund des Verlustes der Unabhängigkeit mit Unruhe, Reizbarkeit, Feindseligkeiten bis hin zu aggressivem Verhalten. (Demenz – MSD Manuals)

Welche Demenzformen gibt es?

Die verschiedenen Demenzformen kann man in primäre und sekundäre Demenzen einteilen. Primäre Demenzen haben ihren Ursprung im Gehirn und sind eigenständige Krankheitsbilder. Dazu gehören Alzheimer-Demenz, vaskuläre Demenz, Lewy-Body Demenz und Frontotemporale Demenz. Sekundäre Demenzen sind eher selten und treten im Rahmen einer anderen Erkrankung auf, wie einer Alkoholabhängigkeit oder Vitaminmangelerkrankung.

Verantwortlich für die Demenz sind neurodegenerative Veränderungen. Bei einer Demenz sterben sukzessive Nervenzellen ab, die Nervenverbindungen zwischen den Nervenzellen gehen verloren. Man geht davon aus, dass bei circa einem Prozent der Betroffenen einer Alzheimer-Demenz die Erkrankung auf eine genetische Mutation zurückzuführen ist (Demenz, NetDoktor). Es gibt typische Unterschiede zwischen den verschiedenen primären Demenzen. Eine Alzheimer-Demenz beginnt meist schleichend und verschlimmert sich eher langsam. Die vaskuläre Demenz hat einen plötzlichen Beginn und die Symptome nehmen schubweise zu. Die Lewy-Body Demenz ist seltener und ist von Parkinson-Symptomen wie einem verlangsamten Bewegungsablauf, Muskelstarre und Halluzinationen (Stimmenhören, optische Bilder) begleitet. Die Frontotemporale Demenz äussert sich primär in einer Wesensveränderung mit Verlust der Manieren und auffälligem Sozialverhalten. Oft äussert sich das Verhalten in Form von aggressiver und gereizter Stimmung des Betroffenen bis hin zu sexueller Enthemmung und Distanzlosigkeit gegenüber anderen. Die Gedächtnisstörungen treten meist erst später auf.

Vorbeugende Massnahmen gegen Demenz

Mit der Thematik der Vorbeugung gegen Demenz hat sich eine Studie genauer befasst (Livingston et al., 2020). Diese Studie basiert auf der Prüfung vieler anderer Studien und Meta-Analysen aus der ganzen Welt. So wurde festgestellt, dass es insgesamt 12 veränderbare Risikofaktoren für eine Demenz gibt. Diese sind einerseits soziale Faktoren, wie geringe Bildung, soziale Isolation und Luftverschmutzung; Andererseits körperliche und psychische Ursachen wie Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen, Hörverlust, körperliche Immobilität und Kopfverletzungen. Zuletzt gelten auch die folgenden Lifestyle Faktoren als Risiko: Rauchen, übermässiger Alkoholkonsum und Übergewicht . Bis zu 40% aller Demenzerkrankungen könnten laut der Studie verhindert oder zeitlich verzögert werden, wenn diese Risikofaktoren eliminiert werden.

Somit ergeben sich die folgenden 10 Ansätze zur Prävention einer Demenz:

  1. Eine Grund- und Sekundarschulausbildung – die kognitive Förderung, das heisst, die Förderung von Aktivitäten, die das Gehirn beanspruchen, gilt als bedeutender protektiver Faktor
  2. Meiden von Orten mit hoher Luftverschmutzung und Passivrauchen durch Tabakrauch
  3. Der Einsatz von Hörgeräten bei Hörverlust und Verringerung der Entstehung von Hörverlust durch Schutz vor übermäßiger Lärmbelastung
  4. Regulierung des Blutdrucks. Der Blutdruck besteht aus 2 Werten, der erste Wert von beiden ist immer höher als der zweite Wert. Als Zielblutdruck gilt in der Regel 120/80. Der erste Wert ist der systolische Blutdruck, dieser misst den Druck beim Herzschlag. Der zweite Wert misst den Blutdruck bei Erschlaffung des Herzmuskels. Eine Erhöhung des ersten Wertes über 145 ist mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden.
  5. Vermeidung von Kopfverletzungen
  6. Begrenzter Alkoholkonsum – mehr als 21 Einheiten pro Woche erhöhen das Demenzrisiko signifikant. Eine Einheit entspricht 10-20g reinen Alkohol, also beispielsweise ein Glas Wein, ein kleines Bier oder 0,3dl Schnaps.
  7. Vermeidung von Zigarettenrauchen
  8. Gesundes Gewicht – Fettleibigkeit und damit häufig verbundene Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes erhöhen das Demenzrisiko deutlich
  9. Regelmässige körperliche Aktivität in jungem und fortgeschrittenem Alter
  10. Regelmässige kognitive Aktivitäten – dazu gehören Puzzles, Kreuzworträtsel, das Lernen einer neuen Sprache, Lesen von Büchern und Zeitschriften, Kopfrechnen oder Spiele wie Schach, Würfel- und Kartenspiele

Wichtig: diese Faktoren bestimmen nicht definitiv, ob man eine Demenz entwickelt oder nicht. Demenz ist in manchen Fällen genetisch veranlagt oder tritt als Folge anderer Erkrankungen auf. Trotzdem spricht die Evidenzlage eindeutig dafür, die oben genannten Faktoren zu berücksichtigen. Insbesondere primäre Demenzformen, wie die Alzheimer-Demenz, können dadurch zeitlich um Jahre verzögert oder ganz vermieden werden.

Quellen

Demenz: Formen, Symptome, Behandlung. (o. J.). NetDoktor. Abgerufen 14. September 2022, von https://www.netdoktor.ch/krankheiten/demenz/

Demenz—Neurologische Krankheiten. (o. J.). MSD Manual Profi-Ausgabe. Abgerufen 14. September 2022, von https://www.msdmanuals.com/de/profi/neurologische-krankheiten/delir-und-demenz/demenz

Livingston, G., Huntley, J., Sommerlad, A., Ames, D., Ballard, C., Banerjee, S., Brayne, C., Burns, A., Cohen-Mansfield, J., Cooper, C., Costafreda, S. G., Dias, A., Fox, N., Gitlin, L. N., Howard, R., Kales, H. C., Kivimäki, M., Larson, E. B., Ogunniyi, A., … Mukadam, N. (2020). Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. The Lancet, 396(10248), 413–446. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)30367-6

Patterson, C. (o. J.). World Alzheimer Report 2018—The state of the art of dementia research: New frontiers. London: Alzheimer’s Disease International, 2018, 48.

dr. med. univ. Anemone Rutter

dr. med. univ. Anemone Rutter

Assistenzärztin (MED4LIFE)

Was bedeutet Leben? Woher kommen wir? Was tun wir hier? Und wohin gehen wir? Warum werden wir geboren? Und was gilt es in einem Leben zu erfahren? Wer leitet uns an? Was beseelt uns? Was bewegt uns? Dies sind individuell zu beantwortende Fragen, wobei die Antwort jeweils auf der zugrundeliegenden Weltanschauung und Kultur basiert. Möglicherweise gibt es so viele Antworten darauf wie es Menschen gibt.

Gehen wir von unserer christlichen Religion aus, erhalten wir zum Woher keine oder nur sehr vage Antworten. Immerhin wird uns vermittelt, dass die Seele nach dem Tod in die Ewigkeit eingeht, wo sie je nach Lebensführung in den Himmel erhoben oder in die Hölle verdammt wird. Zu diesem Zweck gibt es einen Gott, der über uns und unsere Lebensführung urteilt. Das Leben ist dann dementsprechend so zu führen, dass man möglichst nicht in die Hölle kommt. Um dies zu vermeiden haben die christlichen Kirchen Anleitungen und Rituale entwickelt. Über Jahrhunderte hinweg haben sich die Menschen an diesen äusseren Hilfen orientiert. Vielleicht haben sie dadurch aber auch ihren inneren Kompass etwas aus den Augen verloren.

Auch in anderen Kulturen finden wir die unterschiedlichsten Erklärungen und Anleitungen zur Führung eines Menschenlebens. Dabei spielten immer die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen – wie Sicherheit und Zugehörigkeit – eine entscheidende Rolle. In vielen Kulturen und Religionen war es nur wenigen vorbehalten, die entsprechenden Regeln zur Lebensführung zu bestimmen und vorzugeben. Die Gefahr dabei war und ist immer noch, dass die Menschen dadurch ihre Selbstverantwortung abgeben. Heute haben Religionen und Kulturen massiv an Hoheit eingebüsst, an ihre Stelle sind Ersatzreligionen und Experten getreten, die den Menschen die Welt erklären und ihnen sagen, was sie zu tun haben. Unsere Welt des Konsums ist heute unsere Kultur, unsere Basis, während Social Media die Rituale ersetzt hat. Wir befinden uns nach wie vor und immer mehr in einer massiven Abhängigkeit von Äusserlichkeiten. Geändert haben sich ledliglich die Inhalte, auf die wir gebannt schauen und denen wir hinterherrennen.

Wie finden wir zu unserer Eigenverantwortung zurück? Wie werden wir Schöpfer unseres Lebens, das wir selber gestalten? Wie können wir lernen, herauszufinden, was wir brauchen und was uns dient, ohne anderen oder dem grossen Ganzen zu schaden? Wie würde es sich anfühlen, wenn wir das Zepter wieder in die eigenen Hände nehmen würden? Was wäre, wenn wir realisieren würden, welch immense Kraft uns innewohnt? Das Zauberwort in diesem Kontext heisst Selbstermächtigung. Niemand kann uns den entscheidenden Schritt abnehmen, wenn wir merken, dass es Zeit ist, die Anleitung für unseren Seelenplan aktiv und selbstbewusst in die Hand zu nehmen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist mit diesem Schritt auch ein hohes Mass an Loslass-Arbeit verbunden. Es bedingt, die vielen „Abhängigkeiten im Aussen“ loszulassen, wenn wir Schöpfer und Schöpferinnen werden wollen.

Somit startet die eigentliche Arbeit mit der Suche nach den Abhängigkeiten. Wo bin ich gefangen in Situationen, Beziehungen und Mustern, die mich lähmen? Wo bedarf es eines beherzten Schritts hin zur Veränderung? Dies kann das Auflösen eines Arbeitsverhältnisses, das Beenden einer Beziehung oder die Aufgabe eines nicht dienlichen Musters sein. Nach der Befreiung beginnt die Suche nach dem Sinn meines Daseins. Eine erste Sinnfrage könnte die Suche nach Talenten und Fähigkeiten sein, die Frage auch, was ich werden wollte, als ich klein war. Was war damals mein Traumberuf? Oft zeigte sich da schon die Berufung, weil wir den Seelenplan noch im Auge und im Herzen hatten.

Was für Glaubensmuster kann ich loslassen? Eltern, Lehrer und andere nahestehende Menschen prägen uns ein Leben lang, sofern wir nicht die Muster und Glaubenssätze sortieren und ausmisten. Das heisst erkennen, was hilfreich ist und mitgenommen werden kann und was wir getrost hinter uns lassen können. Dies erfordert eine ehrliche Auseinandersetzung mit sich und all denen, die uns geprägt haben. Wenn Muster hinterfragt wurden und das eigene Dasein gemäss Seelenplan erkannt wurde, kann auch die Arbeit an den Beziehungen starten. Mit wem verbringe ich meine Zeit und tausche mich aus? Wenn ich mir meiner selbst bewusst bin, wähle ich auch bewusst die zu mir passenden Menschen. Auch das kann bedeuten, dass ich eine Beziehung aufgeben muss. Aufräumen heisst oft aufbrechen zu neuen Dimensionen und Erfahrungen und gleichzeitig Altes loslassen.

Schliesslich gelangen wir in der Tiefe zu den Mustern und Glaubenssätzen, die uns anleiten, aber auch blockieren können. Oftmals sind dies nicht unsere eigenen Schöpfungen, sondern wir haben sie unbewusst übernommen. Es lohnt sich, diese hervorzukramen und in Ruhe zu überprüfen. Dienen sie oder lähmen sie eher? Bringen sie mich weiter oder blockieren sie mich? Vieles ist Ballast und behindert die Prozesse unseres Körper-Geist-Seelensystems. Wenn ich meinem Seelenweg folge, überprüfe ich regelmässig, welchen Mustern und Glaubenssätzen ich entspreche und ob sie mir (noch) dienen.

Mittels unterschiedlicher Techniken kann man lernen, diese Muster zu erkennen und zu transformieren. Oft braucht es dafür Anleitung und Führung, da wir am besten lernen, wenn wir „gespiegelt“ werden; das heisst im aktiven Austausch mit einem anderen Lebewesen, das uns hilft bei der Interpretation. Auch Tiere können Spiegel sein, allerdings ist es dann anspruchsvoller, die Hinweise zu lesen und wir brauchen eventuell Hilfe dabei. Der Lebensweg verläuft entlang eines Seelenplans. Wie oft wir uns verlaufen, Zusatzschlaufen nehmen oder schummeln, indem wir versuchen, Abkürzungen zu nehmen, hängt von uns ab. Es gibt den vielgerühmten freien Willen bis zu einem gewissen Grad, wenn wir erkennen, dass wir Schöpfer sind. Allerdings unterliegen wir immer noch einem grossen universellen Plan, den es in Demut anzuerkennen gilt.

Dipl. med. Andrea Bieler Bühler

Dipl. med. Andrea Bieler Bühler

Leiterin Komplementärmedizin (MED4LIFE)

  • Was zeichnet ein glückliches, ein zufriedenes Leben aus?
  • Wie können wir selbst dies beeinflussen?

Lange hat sich die Psychologie auf die Heilung klassischer Krankheitsbilder – wie z.B. Depressionen und Schizophrenie – fokussiert. Erst in den letzten Jahrzehnten entstand unter dem Schlagwort „Positive Psychologie“ ein neuer Teilbereich, der sich u.a. damit befasst, wie wir ein glückliches, zufriedenes Leben führen können.

Bausteine eines zufriedenen, glücklichen Lebens

Der Begriff Zufriedenheit anstatt Glück wird an dieser Stelle bewusst gewählt. Er bringt zum Ausdruck, dass es bei dem Themenfeld nicht darum geht, negative Emotionen wie Angst oder Wut abzulösen und durch möglichst viele Momente des (oft) kurzen Glücks zu ersetzen. Denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier und positive Erlebnisse werden schnell zur Selbstverständlichkeit. Ziel ist vielmehr der Aufbau einer nachhaltigen Resilienz und Zufriedenheit.

Seligman unterscheidet in seiner „Glücksformel“ drei Faktoren, die unsere Zufriedenheit bestimmen: Einen Basis-Wert, der durch unsere Gene und Persönlichkeit bestimmt wird, die Umstände bzw. Umweltfaktoren und „freiwillige Faktoren“. Es ist durchaus so, dass unsere Persönlichkeit eine erste Ausrichtung vorgibt, wie optimistisch wir z.B. in die Zukunft blicken. Und auch der Bereich der Umweltfaktoren dürfte uns wohl allen bekannt sein. Aber entscheidend ist der letzte Faktor, denn er besagt, dass wir selbst einen essenziellen Beitrag zu unserer Zufriedenheit leisten können! Es gilt, diesen Einflussbereich zu vergrössern und den Fokus darauf zu legen.

Das „angenehme“ Leben

Im ersten Ansatzpunkt geht es darum, wie wir positive Emotionen wie Freude, Vergnügen oder Begeisterung verstärken können. Beeinflusst werden wir dabei durch unseren Blick in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Beginnen wir mit der Vergangenheit. Oftmals neigen wir dazu, gerade negative Erlebnisse aus der Vergangenheit auf heute zu übertragen: „Ich habe immer Pech!“. Ziel ist es deshalb, durch Dankbarkeit und Vergebung die Wahrnehmung der Vergangenheit zu verändern. Eine Möglichkeit:

Werkzeug 1: Führen Sie ein Dankbarkeitstagebuch. Versuchen Sie es und notieren Sie sich die nächsten 4 Wochen jeweils abends drei Dinge, Menschen oder Erlebnisse, für die Sie dankbar sind!

Beim Blick in die Zukunft geht es nicht um blinden Optimismus, sondern darum, unsere Zuversicht zu stärken. Konkret heisst das, dass ich ein einzelnes, negatives Ereignis nicht als dauerhafte Katastrophe ansehe, die all meine anderen Lebensbereiche betrifft.

Werkzeug 2: Hinterfragen Sie Ihre Interpretation der Situation kritisch und geraten Sie nicht in eine Negativspirale. Schreiben Sie auf, was Sie gerade beschäftigt, oder sprechen Sie mit einem vertrauten Menschen. Ist es wirklich so schlimm? Ist Ihre Erklärung für einen Konflikt wirklich sinnvoll oder gibt es Alternativen?

Der Ansatzpunkt der Gegenwart zielt darauf, den Augenblick bewusst zu erleben. Was sich hochtrabend anhört, kennen wir doch alle. Wir sind auf dem Weg nach Hause und können uns am Ende gar nicht mehr erinnern, wie genau wir angekommen sind. Unser Gehirn ist darauf gepolt, auf Neues zu reagieren – also Energie zu sparen über Routinen. Dies ist durchaus sinnvoll, führt aber auch dazu, dass wir immer mehr wollen und selten zufrieden sind.

Werkzeug 3: Durchbrechen Sie Ihre Routinen und nehmen Sie einmal einen anderen Weg nach Hause.

Werkzeug 4: Nehmen Sie sich ein paar Minuten und machen Sie etwas bewusst mit allen Sinnen – z.B. ein Stück Schokolade essen oder einen Kaffee trinken.

 

Das „gute“ und sinnstiftende Leben

Die Verstärkung positiver Emotionen ist aber nur ein Ansatzpunkt. Zentral ist es, darüber hinaus ein für sich selbst „gutes“ und sinnstiftendes Leben zu führen. Was ist damit gemeint? Gemeinsam mit Kollegen aus dem Feld der positiven Psychologie hat Seligman 24 sogenannte „Signature/Character Strengths“ identifiziert. Dabei geht es um Stärken, die uns als Person auszeichnen und deren Ausleben für uns mühelos ist bzw. uns Energie zurückgibt. Im besten Fall erleben wir eine Art „Flow“-Moment, vergessen die Zeit und gehen in der aktuellen Tätigkeit auf. Beispiele für die Charakterstärken sind Neugierde, Ehrlichkeit oder soziale Intelligenz.

Es geht also nicht darum, Schwächen zu eliminieren, sondern Möglichkeiten zu finden, die eigenen Stärken im Alltag auszuleben. Setzen wir unsere Stärken zudem sinnstiftend ein, sind wir auf dem besten Weg zu einem nachhaltig zufriedenen Leben. Was wir dabei als sinnstiftend empfinden, gilt es für jeden persönlich zu entdecken.

Werkzeug 5: Identifizieren Sie Ihre Charakterstärken und finden Sie Wege, diese im Alltag zu integrieren. Eine kostenlose Möglichkeit bietet sich hier: VIA Character Strengths Survey & Character Reports | VIA Institute

Bei allen Vorschlägen gilt: Finden Sie heraus, was Ihnen Spass macht und fangen Sie damit an! Denn die Forschung zeigt auch: Eine Abkürzung zur nachhaltigen Resilienz und Zufriedenheit gibt es nicht. Wir sind gefordert, an uns und mit uns zu arbeiten.

Dr. Judith Martin

Expertin für Positive Psychologie (MED4LIFE)