Endgültige Entscheidungen

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Unsere Tätigkeit in der ambulanten Medizin ist ein Privileg. Unsere Arbeit – sei es als Therapeut, Gesundheitsfachkraft, Manager oder Arzt – spendet Demut, lässt uns Kraft schöpfen, gewährt uns aber auch Einblicke in Krankheiten, Erschöpfung, Verzweiflung und grausame Schicksale. Im Laufe der Jahrzehnte als Arzt habe ich viele Patienten getroffen, die mich bewegt haben. Was wohl im Kern immer bleibt, ist die Hoffnung darauf, die Welt und sein eigenes Leben bestmöglich zu gestalten. Nicht immer aber wächst ein Mensch am harten Schicksal und erhält die Möglichkeit, daran zu wachsen.

Weihnachten 2020

Ende letzten Jahres hatte ich die Ehre, eine wunderbare Persönlichkeit kennenlernen zu dürfen. Eine ältere Patientin besuchte mich in meiner Sprechstunde in Begleitung ihrer Tochter. Die ältere Dame war gezeichnet von einer schweren Krebserkrankung: Dünn, bleich, gebrechlich und in gewisser Hinsicht adynamisch. Im Gespräch jedoch zeigte sich umgehend eine noch immer klar denkende Person mit exaktem Wortschatz, die – ohne Reue oder Bitterkeit – den unmissverständlichen Wunsch äusserte, von uns gehen zu dürfen. So „simpel“ dieser Wunsch vorgetragen wurde, so sehr muss man in solchen Momenten dennoch schlucken. Als Arzt sah ich aber auch ihre dauerhaften Schmerzen, die die schwere Krebserkrankung verursachte, sowie die Ausbreitung des Krebs in die Knochen und Lungenflügel.

Sie hatte sich schon bei EXIT angemeldet. Für diejenigen unter Ihnen, denen „Exit“ nichts sagt: Es handelt sich hierbei um eine Vereinigung für humanes Sterben, die sich für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende einsetzt – unter anderem mithilfe der Patientenverfügung und einer sicheren und würdigen Freitodbegleitung. Auf dem Weg zum Freitod fehlte der Patientin nur noch die ärztliche Unterstützung.

Ihr Wunsch war offenbar unumkehrbar und Anbetracht ihres Leidens auch nachvollziehbar. Ich fragte Sie nämlich, ob sie sich des Entschlusses sicher sei, dies mit ihrer Familie geklärt habe und wann ihr „Wunschtermin“ sei. Daraufhin entgegnete sie, mit der Familie sei alles besprochen, sie habe hier 100% Unterstützung und es wäre ihr wichtig, noch vor dem «Heiligen Abend» gehen zu dürfen. Mein erstes Gefühl hierbei war Bestürzung und Traurigkeit – immerhin ist doch für viele von uns das Weihnachtsfest etwas Besonderes, ein Fest der Familie. Sie erklärte mir, dass sie es unerträglich fände, jetzt noch einmal lächelnd zum Fest der Liebe Abschied nehmen zu müssen – ihren Entschluss in all dem Trubel wie auf einer Abschiedstournee erklären, vielleicht sogar rechtfertigen zu müssen. Nein, das kam für sie kategorisch nicht in Frage.

So hart es sich auch für mich als Mensch und Arzt anfühlte, musste ich respektieren, dass sich hier ein Patient vollkommen öffnete, sich mir anvertraute und um seine Würde bat. Ich habe den Exit-Antrag wahrheitsgemäss ausgefüllt und eingereicht. Ein paar Tage, kurz vor Heiligabend, durfte diese wunderbare Dame, die ihr Leid so tapfer ertragen hatte, schliesslich gehen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Im Leben, im Tod, und auf dem Weg dahin.

Dr. Robert Klingl

Dr. Robert Klingl

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Chief Medical Officer (MED4LIFE)

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