Die Seekrankheit ist ein lästiges Phänomen, das vor allem bei längeren Seefahrten auftritt. Sie äussert sich durch Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen. Dieser Artikel liefert die wichtigsten Informationen zur Entstehung dieser Krankheit und erklärt auch, weshalb klassische Medikamente gegen Kopfschmerzen nichts nützen. Des Weiteren werden mögliche Massnahmen aufgezeigt.

Die Seekrankheit kommt durch einen Mismatch im Gleichgewichtssinn zustande. Der Gleichgewichtssinn besteht aus drei Komponenten – dem Gleichgewichtsorgan, den Augen und der Propriozeption (siehe Artikel „Das Gleichgewichtsorgan und seine Funktionsweise“). Ein Mismatch beschreibt das inkorrekte Verhältnis der drei Komponenten zueinander. Einfach formuliert gibt also das Gleichgewichtsorgan dem Gehirn eine andere Information als die Augen und die Propriozeption.  Das liegt daran, dass das Gleichgewichtsorgan permanent den Wellengang und die Schaukelbewegungen des Bootes wahrnimmt. Der Input vom Gleichgewichtsorgan an das Gehirn ist folgender: „Es liegt eine dauerhafte Beschleunigung vor und es gibt ein regelmässiges Auf und Ab durch die Wellen.“ Der Input der Augen ist jedoch ein anderer und das ist der springende Punkt: Die Augen nehmen beispielsweise im Inneren eines Schiffes die Wände wahr, welche gerade erscheinen und nicht ”mitschaukeln“. Daher ist die Seekrankheit in aller Regel auch schlimmer, wenn man keinen visuellen Bezugspunkt am Land hat. Das Gehirn erhält also widersprüchliche Informationen – vonseiten des Gleichgewichtorgans wird eine Beschleunigung vermittelt, die Augen jedoch vermitteln eine Konstante und nehmen diese Beschleunigung (damit ist das Auf und Ab durch die Wellen gemeint) nicht wahr. Dieser Mismatch ruft die Symptome hervor.

Die Seekrankheit betrifft aus ungeklärten Gründen Frauen deutlich häufiger als Männer und Migränepatientinnen und Migränepatienten gehören ebenso zur Risikogruppe. Doch was kann man gegen die Seekrankheit vorbeugend tun? Es ist wichtig, dass man früh reagiert – das heisst beim ersten Anzeichen (in der Regel ein leichtes Schwindelgefühl) – und zwar damit, dass man sich aktiv visuelle Eindrücke vom Wellengang einholt. Dabei sollte man jedoch eher in die Ferne schauen, als sich direkt über die Reling zu beugen. Das reduziert kurzfristig den Mismatch, da die Augen dann dasselbe sehen, was das Gleichgewichtsorgan vermittelt. Falls dies möglich ist, kann es zudem hilfreich sein, das Steuer des Boots selbst zu führen. Einige Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass es für die Verarbeitung auch helfen kann, sich unter Deck die Beschleunigungsbewegung durch den Wellengang einzureden (Beispielsweise: „Ich sehe die Wellen gerade nicht, aber ich befinde mich auf dem offenen Meer und weiss, dass ich mich dauerhaft auf und ab bewege“). Eine zweite Möglichkeit besteht darin, sich flach hinzulegen und die Augen komplett zu schliessen. Das kommt einer allgemeinen Reduktion von Sinneseindrücken gleich, was folglich auch den Mismatch verringert, da die visuellen Stimuli bei geschlossenen Augen fehlen. Wenn die Seekrankheit noch nicht sehr schlimm ist, hilft es auch, zu schlafen, denn während des Schlafs wird das Gleichgewichtsorgan heruntergefahren.

Achten Sie darauf, dass Ihr Magen weder leer noch überfüllt noch mit fettlastigen Lebensmitteln gefüllt ist. Alkohol gilt es ebenfalls zu vermeiden. Dies hat damit zu tun, dass alle vier Zustände Übelkeit fördern, daher gilt es sie auf hoher See zu vermeiden. Bei der Ernährung auf See empfiehlt sich Folgendes: häufig essen, kleine Mengen essen, kohlenhydratlastig essen (z.B. Reiswaffeln oder Ähnliches). Es gibt auch medikamentöse Ansätze; hier ist jedoch Vorsicht geboten. Lange wurde geglaubt, dass herkömmliche Mittel gegen Kopfschmerzen helfen können. Diese wirken in der Regel entzündungshemmend, doch bei der Seekrankheit finden keine entzündlichen Prozesse statt. Der Grund für das Symptom Kopfschmerzen ist im Falle der Seekrankheit ausschliesslich der Mismatch im Gleichgewichtssinn. Medikamente gegen Seekrankheit haben oft eine Anti-Histamin-Wirkung. Die Mechanismen sind nicht final geklärt, doch es wird angenommen, dass Histamin auf das Brechzentrum wirkt. Ein zweiter Wirkstoff, Dimenhydrinat, wirkt im Hirnstamm auch hemmend auf das Brechzentrum. Er wird in Form von Tabletten, Zäpfchen oder Kaugummi verabreicht. Doch auch dieser Wirkstoff dient lediglich der Symptombekämpfung, denn der Mismatch lässt sich medikamentös nicht abschalten.

Die nachhaltigste Besserung der Seekrankheit gelingt jedoch durch Gewöhnung. Das mag zermürbend und auch kontraintuitiv sein, doch je gewöhnter das Gehirn an den Mismatch ist, desto besser kann es ihn ausblenden. Erfahrungsgemäss dauert Seekrankheit nicht länger als drei Tage an. Es hilft zudem auch, wenig Zeit unter Deck zu verbringen (bzw. unter Deck sofort die eigene Kajüte aufzusuchen und sich mit geschlossenen Augen hinzulegen), da dort die visuellen Bezugspunkte (Land, Wellen) fehlen.

Jil Toman

Jil Toman

Student Humanmedizin
Medizinischer Content-Provider (MED4LIFE)